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Viele Coronatote werden nicht mitgezählt
Pfleger Eduardo Fernández Ulloa über die dramatische Lage in Spaniens Krankenhäusern
Hat in Spanien oder Madrid die Pandemie den Höhepunkt erreicht, wie es die Regierung Glauben machen will?
Nein. So wie die Anforderungen an Schutzausrüstung angepasst wurden, wird auch die Zählung der Infizierten verändert. Seit einigen Tagen wird konkret hier in Madrid kein Test mehr bei den Leuten gemacht, die die typischen Symptome zeigen. Das sind nun Verdachtsfälle und keine bestätigten Fälle mehr. Wenn Madrid also die Daten an das Gesundheitsministerium übermittelt, sinken nun die Zahlen der Neuinfektionen stark. Aber real fallen sie nicht. Zudem wird gegen die Vorgabe der Weltgesundheitsorganisation gehandelt, die fordert: testen, testen, testen. Da in Deutschland mehr getestet wird, ist dort die Mortalitätsrate auch deutlich niedriger als in Spanien.
Spanien ist nach Italien das in Europa am stärksten vom Coronavirus betroffene Land. Über 100 000 Spanier sind offiziell infiziert, über 9000 offiziell am Virus bereits verstorben. Eduardo Fernández Ulloa arbeitet im spanischen Gesundheitswesen, und hat sich wie über 12 000 Kollegen inzwischen selbst mit dem Virus infiziert. Mit ihm sprach für »nd« Ralf Streck. Foto: privat
Die Todeszahlen waren bisher eine verlässlichere Größe. Stimmen die nun auch nicht mehr?
Schon jetzt wurden bei diesen Zahlen die Toten nicht berücksichtigt, die zu Hause oder in Altenheimen gestorben sind, weil auch sie nicht getestet werden. Es wird einfach nicht geprüft, ob sie am Coronavirus gestorben sind. Also werden sie nicht mitgezählt. Das passiert nicht nur in Spanien, sondern auch in anderen Ländern. Ich gehe davon aus, dass die realen Todeszahlen in Europa so erschreckend hoch sind, dass keine einzige Regierung die realen Zahlen ermittelt.
Wie bewerten Sie das bisherige Vorgehen der sozialdemokratischen Zentralregierung im Kampf gegen die Pandemie?
Sie hat zu Beginn verheerend schlecht reagiert, da die Kontrolle wie hier in Madrid der Regionalregierung überlassen wurde. Und die rechte Regionalregierung in Madrid hat rein gar nichts unternommen. Weder wurde Material besorgt, noch wurde Personal zur Verstärkung eingestellt. Auch hat man keine Tests gemacht. Madrid wurde zum Infektionsherd und damit hat man die erste Chance verspielt: Man konnte nicht ermitteln, wer wen ansteckt. Als dann die Zentralregierung die Kontrolle übernahm, war das Problem schon so groß, dass wohl niemand mehr optimal damit umgehen konnte.
Hätte es geholfen, Madrid und andere Infektionsherde abzusperren, wie viele Experten frühzeitig gefordert haben?
Sicher. Ich kritisiere vor allem hier die Regionalregierung, was die Zentralregierung aber nicht aus der Verantwortung nimmt. Es wurden viele Sachen schlecht und zu spät getan, auch wegen den wirtschaftlichen Auswirkungen. Aber dafür ist eine Regierung da, dafür hat sie Berater. Man muss in solch einer Situation mutig sein und Entscheidungen treffen, vor allem mit dem Beispiel Italien vor Augen. Die nun in Kraft getretenen Maßnahmen hätte man zu Beginn der Krise umsetzen müssen.
Was erwarten ihre Kollegen und Sie jetzt von der Regierung?
Ich kann Ihnen sagen, was wir fordern. Ich bin mir nur nicht sicher, ob in der jetzigen Situation irgendwer fähig ist, das auch umzusetzen. Wir fordern angemessene Schutzausrüstung, die aber auf dem Weltmarkt praktisch nicht auffindbar ist. Deshalb muss jetzt national die Produktion umgestellt werden, um die Versorgung vor Ort zu gewährleisten. Das braucht einige Zeit und hätte auch längst eingeleitet werden müssen.
Sie haben bis zu ihrer Infektion auf der Intensivstation im Krankenhaus Infanta Sofía in San Sebastián de los Reyes, einer Vorstadt von Madrid, gearbeitet. Sie stehen sicher in Kontakt mit Kollegen in anderen Krankenhäusern in Madrid. Wie stellt sich dort die Lage dar?
Es gibt Krankenhäuser, in denen es noch schlimmer als bei uns ist. Und schon im Infanta Sofía bezeichne ich die Lage als untragbar. Mancherorts warten 200 Menschen auf ein Bett und niemand weiß, wohin mit ihnen. Kranke liegen zum Teil in den Gängen auf dem Boden, weil die Stühle nicht ausreichen. Bisweilen müssen Ärzte schwerste Entscheidungen treffen, die sie sich nie vorgestellt haben, zum Beispiel wer beatmet wird und wer nicht. Das sind Situationen wie in der Kriegsmedizin.
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