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- Tedros Adhanom Ghebreyesus
Die Bewährungsprobe des Dr. Tedros
An der Spitze des internationalen Kampfs gegen Corona steht ein Immunologe und Experte für öffentliche Gesundheit
Es gibt ein zwei Jahre altes Foto von Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf dem ein runder Goldrahmen den Kopf des Äthiopiers wie ein Heiligenschein umgibt. Wenn der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der sich selbst Dr. Tedros nennt, heute über die Coronavirus-Pandemie spricht, dann ist der Hintergrund im UN-Himmelblau profaner. Doch der Tonfall des Verkünders, den Tedros in seinen fast täglichen Briefings zur Coronalage an den Tag legt und mit dem er jetzt ankündigte, dass schon in den nächsten Tagen die Zahl von einer Million Infizierten erreicht sein werde, lässt den Heiligenschein gedanklich aufblitzen. Der 55-Jährige weiß, dass seine Worte Gewicht haben - und von manchem auf die Goldwaage gelegt werden. Die Coronakrise ist auch für Tedros und die von ihm geführte Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Bewährungsprobe geworden. Vieles spricht dafür, dass er sie bestehen wird. Doch der Gegenwind nimmt zu.
Als Tedros am 3. März 1965 in Asmara geboren wurde, gehörte die eritreische Hauptstadt von heute noch zu Äthiopien. Dort studierte er Biologie und wechselte vorübergehend in den Staatsdienst. An dessen Spitze stand damals der Diktator Mengistu Haile Mariam, unter dessen »rotem Terror« Zehntausende angebliche »Klassenfeinde« gefoltert, verschleppt oder ermordet wurden. Als die Revolutionäre Front der Äthiopischen Völker Mengistu und seine Militärjunta 1991 stürzte, studierte Tedros in England. An der Universität von London machte er einen Master in Immunologie. Seinen Doktor in »Community Health« erhielt er von der Universität in Nottingham. Die zum Feld der »Public Health« (öffentlichen Gesundheit) gezählte Disziplin ist die Basis von Gesundheitspolitik. Der weltweit oberste Anti-Corona-Kämpfer könnte für seine aktuelle Aufgabe kaum besser ausgebildet sein.
Und doch ist es nicht die Expertise, die Tedros in Coronazeiten so unwiderstehlich macht. Mit ihr geht er nicht hausieren, im Gegenteil gibt er in Pressekonferenzen das Wort gerne weiter an die Spezialisten, die im Genfer Hauptquartier der WHO die Kärrnerarbeit machen. Dass er das Rampenlicht demonstrativ mit ihnen teilt, verweist auf seine eigentliche Profession. »Er ist ein sehr kluger Politiker«, urteilt Ilona Kickbusch. Die Leiterin des globalen Gesundheitsprogramms am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf berät die WHO nicht erst seit Tedros’ Amtszeit. »Er hat immer auch den einzelnen Menschen im Blick und kommt nicht als internationaler Bürokrat rüber.« Tedros sei zudem kreativ, stelle die Humanität in den Mittelpunkt und habe bei allem, was er tue, die Folgen im Blick. »Aus meiner Sicht schlägt er sich sehr gut.«
Im Gegensatz zu seiner chinesischen Vorgängerin Margaret Chan scheut Tedros die Öffentlichkeit nicht, er sucht sie geradezu. Auf YouTube und dem vor allem unter Jugendlichen derzeit beliebten Videoportal Tiktok ruft er zu einer »Handwashing-Challenge« auf, auf Facebook startet er eine Sammelaktion - mehr als fünf Millionen Euro sind schon eingegangen. Bei seinen Auftritten wendet sich Tedros an jeden und jede. Die WHO steht im Zentrum des Geschehens, ihr Chef mahnt und beschwichtigt, lobt und warnt, ermutigt und tadelt, je nachdem. Und vergisst dabei nie die grundlegende Botschaft: Wir können diese Pandemie besiegen, wenn alle zusammenhalten. Es wäre das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass so etwas gelingt. Und Dr. Tedros will der sein, der das unmöglich Scheinende vollbracht hat.
Doch gleichzeitig nimmt auch die Kritik an ihm zu. Dabei geht es vor allem um seine angebliche Nähe zur Führung in Peking. Bei einem Auftritt Ende Januar - außerhalb von China gab es erst 68 Corona-Infektionen - erklärte Tedros etwa, die Welt schulde der Staats- und Parteiführung in Peking Dank und Respekt dafür, dass sie mit ihrem entschiedenen Kampf eine Ausbreitung der Lungenkrankheit auf dem Globus verhindert und den Erreger in Rekordzeit bestimmt habe. »China ist absolut der Transparenz verpflichtet, intern wie extern.« Selbst innerhalb der WHO schütteln Mitarbeiter den Kopf. Auch Tedros weiß natürlich, dass Peking den Ausbruch in Wuhan erst wochenlang vertuschte, dann mit übergroßer Härte durchgriff und aktuell versucht, die Geschichte umzuschreiben - bis dahin, dass China gar nicht der Ursprungsort des neuartigen Coronavirus sei.
Und so gerät er zwischen die Fronten eines außenpolitischen Konflikts. In den USA nehmen Trump-nahe Medien den vermeintlichen Chinafreund förmlich unter Beschuss. »Tedros ist die vielleicht zweitletzte Person, die die WHO zu diesem Zeitpunkt führen sollte«, erklärte etwa Gordon Chang auf Fox News. »Die letzte Person wäre der chinesische Präsident Xi Jinping.«
Während Pekings Botschaft in Genf seit dem Ausbruch des Virus engen Kontakt mit der WHO pflegt, blieb der US-Botschaft am Dienstag nur der wenig elegante Hinweis, dass Tedros Kampf gegen Covid-19 ohne die USA gar nicht möglich sei. »2019 haben US-Zahlungen an die WHO 400 Millionen Dollar überstiegen, China dagegen hat 44 Millionen Dollar gezahlt.« Die Auseinandersetzung ist nicht neu, hat in der Coronakrise aber an neuer Brisanz gewonnen.
Gleichzeitig ist die UN-Organisation unter Tedros agiler und gefragter denn je: In den am stärksten betroffenen Ländern waren oder sind WHO-Expertenteams aktiv. Man treibt die Entwicklung von Tests, Medikamenten und einer zukünftigen Impfung voran und gibt Empfehlungen. Derzeit lässt die WHO prüfen, ob das Tragen von Mundschutz in der Öffentlichkeit die Ausbreitung des Virus eindämmen kann. Bislang rät die WHO dies nur Kranken sowie Menschen, die diese pflegen.
Als vermeintlicher Mann Chinas wurde Tedros schon bei seiner Wahl am 22. Mai 2017 angefeindet. Unterstützer eines Gegenkandidaten lancierten in der »New York Times« eine Story, die ihn zu Fall bringen sollte: Er habe als äthiopischer Gesundheitsminister Cholera-Epidemien vertuscht. Ein Vorwurf, der bis heute unbelegt ist; Tedros selbst wies ihn umgehend zurück. Die Hoffnung seiner Gegner, etwas möge hängenbleiben, erfüllte sich nicht. Nach seiner Wahl war Tedros, der erste Afrikaner an der WHO-Spitze, sichtlich erleichtert. »Es war eine wundervolle Kampagne, eine Achterbahnfahrt, die fast ein Jahr gedauert hat«, erklärte er lächelnd den versammelten Journalisten. Tatsächlich hatte Tedros eine Kampagne gefahren, wie es sie für den WHO-Posten zuvor nicht gegeben hatte. Er reiste viel und warb für sich etwa in ganzseitigen Anzeigen. Wer ihm das finanziell ermöglicht hat, ist bis heute unklar. Entsprechende Fragen lässt er unbeantwortet.
Dass Tedros kein Problem mit autoritären Maßnahmen wie denen in Wuhan hat, dürfte niemanden überraschen. Kurz nach seinem Antritt ernannte er Simbabwes Diktator Robert Mugabe zum WHO-Sonderbotschafter - nach einem Sturm der Entrüstung machte er die Ernennung rückgängig. Vor allem aber ist da Tedros’ Karriere innerhalb des äthiopischen Machtapparats unter Meles Zenawi, als der immer diktatorischer regierte. Wenige Tage, nachdem Tedros im Oktober 2005 sein Amt als Gesundheitsminister antrat, wurden in Äthiopien Oppositionelle von der Polizei mit scharfen Waffen beschossen. Mehr als 190 kamen ums Leben, 60 000 wurden verhaftet. Sie hatten gegen Wahlmanipulationen protestiert. Freigelassen wurden einige der Verhafteten erst unter dem aktuellen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed, dem Nachfolger von Hailemariam Desalegn, unter dem Tedros bis Ende 2016 als Außenminister diente.
An seiner fachlichen Qualifikation für den Topjob in der WHO ändert das jedoch nichts. Schon als Gesundheitsminister in der Region Tigray verfügte Tedros Massenimpfungen gegen Masern, als äthiopischer Minister professionalisierte er das Gesundheitssystem, die Kinder- und Müttersterblichkeit sank auf die Hälfte. Als sein wichtigstes Ziel an der WHO-Spitze gab Tedros nach seiner Wahl an, die Gesundheitseinrichtungen weltweit zu stärken. Dann kam Ebola, jetzt Corona. Als Krisenmanager zeigt Tedros sein politisches Talent. Das gilt auch für das größte Problem der WHO, die Finanzierung. Zwar haben Staaten zuletzt ihre Beiträge leicht erhöht, doch reicht das noch lange nicht, um die Arbeit der Organisation zu sichern. Das größte Problem ist die Zweckbindung der meisten Gelder. Selbst ein extra geschaffener Krisenfonds von 100 Millionen Dollar blieb stets unterfinanziert.
Dem begegnet Tedros in der Krise mit Spendenaufrufen für einen »Solidaritätsfonds«, der am Mittwoch mehr als 110 Millionen Dollar wert war. Unter den Gebern sind neben dem Weltfußballverband FIFA, Facebook und Google auch die Pharmakonzerne Dow und Glaxo Smith Kline. Eine zu große Nähe der WHO zu Pharmaunternehmen gilt zwar als kritisch, auch weil Zulassungsverfahren eine Kernaufgabe der WHO sind. Doch ohne Geld aus der Privatwirtschaft und von privaten Stiftungen wäre die Organisation längst pleite. Die Pharmaindustrie spendet jährlich Millionen.
Dass Tedros diese Abhängigkeit beendet, gilt als ausgeschlossen. Er hat angekündigt, zur Finanzierung der WHO auch auf Kooperationen mit der Industrie zu setzen. Darauf verlassen sich auch die Staaten, egal wie umstritten Tedros sein mag. Schließlich müssten sie sonst selbst für mehr Geld sorgen.
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