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DGB begrüßt neues Berliner Vergabegesetz
Rot-Rot-Grün hat neue soziale und ökologische Regeln für öffentliche Aufträge beschlossen
Für den regionalen Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) geht Berlin mit seinem neuen Ausschreibungs- und Vergabegesetz voran. »Berlin hat mit einem Auftragsvolumen von rund fünf Milliarden Euro eine große Verantwortung und Einfluss als Nachfrager«, sagt der DGB-Bezirksvorsitzende Christian Hoßbach. Diese nutze das Land zum Nutzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Allgemeinheit. Denn mit dem neuen Gesetz würden öffentliche Aufträge künftig an die Bezahlung nach einem Tarifvertrag geknüpft. Hoßbach lobte das Gesetz als wichtige »strategische Entscheidung«. »Gerade in der aktuellen Krise zeigt sich erneut die grundlegende Bedeutung des Tarifvertragssystems, das jetzt Einkommen und Kaufkraft auch in der Kurzarbeit stabilisiert«, so der DGB-Bezirksvorsitzende.
Bereits am späten Donnerstagnachmittag hatte Rot-Rot-Grün im Abgeordnetenhaus das neue Ausschreibungs- und Vergabegesetz verabschiedet, das als eines der zentralen wirtschaftspolitischen Projekte des Mitte-links-Bündnisses gilt. »Kernelemente sind zum einen die Tariftreue, die 2008 durch das sogenannte Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofs gekippt worden war, sowie der Vergabemindestlohn in Höhe von 12,50 Euro pro Stunde«, sagt Katina Schubert, die Arbeitsmarktexpertin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Neben der Tariftreue verweist Schubert auch auf die Einführung von weiteren Standards bei der öffentlichen Auftragsvergabe wie der Berücksichtigung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und von ökologischen Vorgaben.
Das Land Berlin hebt den gesetzlichen Mindestlohn deutlich auf 12,50 Euro je Stunde an. Das Abgeordnetenhaus verabschiedete dazu am Donnerstag mit den Stimmen der drei Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und Linke eine entsprechende Änderung des Landesmindestlohngesetzes. Bisher betrug der Mindestlohn in Berlin seit dem 1. August 2017 exakt neun Euro brutto je Zeitstunde. Dieser Betrag lag mittlerweile unter der Höhe des bundesweit geltenden Mindestlohns von 9,35 Euro seit 1. Januar 2020. In der Gesetzesbegründung heißt es unter anderem, immer mehr Berlinerinnen und Berlinern gehe es aufgrund der Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung finanziell besser. »Von dieser zusätzlichen positiven wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der wachsenden Stadt Berlin sollen auch die Bezieherinnen und Bezieher von niedrigen Einkommen profitieren«, heißt es dort. epd/nd
Dass die SPD das neue Gesetz nach der Verabschiedung in einer Pressemitteilung als ihre »Initiative« beschrieb und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ülker Radziwill sich darüber freute, dass »Linke und Grüne diese wichtige sozialpolitische Entscheidung mittragen«, kam in der Linken nicht so gut an. »Das war ein echter gemeinsamer Arbeitsprozess«, kritisiert Schubert das Vorpreschen der Sozialdemokraten. Die Vorlage für das neue Vergabegesetz kam im Übrigen aus dem Haus von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die federführend aufseiten der Exekutive für die Gesetzesnovelle zuständig war.
Sturm gegen das Gesetzesvorhaben liefen bis zuletzt Unternehmerverbände und die Opposition im Abgeordnetenhaus. In einer gemeinsamen Presseerklärung hatten unter anderem die Fachgemeinschaft Bau, die Industrie- und Handelskammer Berlin und die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg gefordert, dass das Abgeordnetenhaus das Gesetz »in der größten wirtschaftlichen Krise seit Jahrzehnten« nicht verabschiedet werden soll. »Die Berliner Wirtschaft ist schwer getroffen durch die Coronakrise«, hieß es. Und: »In dieser Krise brauchen die Unternehmen jede denkbare Unterstützung. Dazu gehört auch die unbürokratische und schnelle Vergabe von öffentlichen Aufträgen.«
Der Fraktionschef der oppositionellen FDP, Sebastian Czaja, sprach gar in Zusammenhang mit der Verabschiedung des Vergabegesetzes von einem »fatalen Signal und Zeichen von Wahrnehmungsstörung«, weil die Koalition statt einem Konjunkturprogramm und Liquiditätshilfen lieber mehr Bürokratie und einen höheren Mindestlohn auflegen würde.
Dagegen sieht der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh in der Erhöhung des Landesmindestlohns gerade in der Coronakrise ein »kluges und wichtiges Signal«. »Mit dem neuen Mindestlohn schützen wir die Menschen in unserer Stadt davor, dass sie im Alter unter die Grundsicherung rutschen«, sagte Saleh. Das Land Berlin müsse selber als allerbestes Beispiel vorangehen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anständig bezahlen.
Ob der neue Mindestlohn tatsächlich Altersarmut verhindert, ist indes nicht ausgemacht. Die Linke sieht bei diesem Thema durchaus mehr Luft nach oben. »Das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange«, sagt Katina Schubert zu »nd«. »Für wirklich armutsfeste und alterssichernde Löhne wäre ein Lohn jenseits von 13,50 Euro pro Stunde nötig.« Dafür will sich die Linke auch in der Koalition weiter einsetzen.
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