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Mit Apps gegen die Pandemie
Freiwilligkeit, App-Pflicht oder digitale Fußfessel? In Europa gibt es unterschiedliche Konzepte - Deutschland hat noch nicht entschieden
In vielen europäischen Ländern kommen immer mehr App-Konzepte in die Diskussion oder sie kommen bereits zum Einsatz. Das Ziel der Apps: Die Infektionskette nachzuverfolgen und Kontaktpersonen isolieren, um eine Weitergabe des Virus zu verhindern. Kritiker von App-Lösungen zur Eindämmung der Pandemie warnen jedoch, denn oft werden Daten herangezogen, die mit der Erkrankung eigentlich nichts zu tun haben. Als Vorbild wird immer wieder auch Südkorea genannt. Doch gerade dort werden Datenquellen oft auch ohne Einwilligung der Betroffenen ausgewertet. Neben Kreditkartendaten kommen auch Bilder aus Überwachungskameras zum Einsatz.
In Deutschland orientiert sich vor allem der CDU-Wirtschaftsrat am südkoreanischen Modell und spricht sich gegen eine freiwillige App aus. Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, sagte der »FAZ«: »Für diese Ausnahmesituation müssen wir das Datenschutzrecht verändern.« Der Rat plädiert für einen verpflichtenden Einsatz der App »Nina«, der Notfall-Informations-App des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Ein Nachteil dieser App: Sie ist nicht quelloffen und arbeitet mit Positionsdaten der Nutzer*innen.
Datenschützer und Bürgerrechtler diskutieren derzeit den Einsatz einer freiwilligen App. Aus Kreisen des Chaos-Computer-Club heißt es, man wolle die in den letzten Jahren im Bereich des Datenschutzes entwickelten Lösungen zum Einsatz bringen, um einer möglichen Zwangs-App zuvorzukommen. Auch weil die Bereitschaft zum Einsatz einer solchen App wachse, sei dies dringend erforderlich, äußerte Linus Neumann, Sprecher des CCC im Podcast Logbuch Netzpolitik.
Ein Blick über die Grenzen
Nutzer*innen in Österreich, die eine Corona-App nicht verwenden können oder nutzen wollen, sollen einen Schlüsselanhänger erhalten. Diesen Vorschlag äußerte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz in einem Interview mit der Zeitung »Der Standard«. Die Corona-App sei nur eine von insgesamt drei Maßnahmen, mit denen Kurz der Krise beikommen will. Tests und die Isolierung sollen die Ausbreitung der Pandemie unter Kontrolle bringen. Am Montag will Kurz einen »Fahrplan« präsentieren, nach dem Wirtschaft und Handel wieder hochgefahren werden können. Kurz sagte im Interview, die österreichische Bundesregierung habe noch nicht über eine verpflichtende Nutzung der Corona-App entschieden, doch »Die Mehrheit der Österreicher befürwortet diese Initiative«. Die Opposition setzt auch in Österreich auf die freiwillige Nutzung einer Corona-App.
In Polen geht der Einsatz von Handy-Apps noch einen Schritt weiter. Hier müssen erkrankte oder in Quarantäne befindliche Personen eine App verwenden, die mehrmals am Tag dazu auffordert, ein Selfie zu erstellen, mit dem belegt wird, dass sich die Person noch am Quarantäne-Ort befindet. Erfolgt der Upload des Selfies zu spät oder gar nicht, drohen Strafzahlungen.
Big-Data auf dem Vormarsch
In den USA werden die Dienste des Unternehmens Palantir herangezogen, um beispielsweise No-go-Areas, zur definieren, die Pandemieausbreitung zu verfolgen und Beatmungsgeräte im Land umzuverteilen. Nachdem bekannt wurde, dass das US-Unternehmen ein Angebot zur kostenlosen Hilfe an mehrere europäische Länder abgegeben hat, ist die Kritik groß. In Europa kommt Palantir derzeit in Griechenland und in Großbritannien zum Einsatz.
Beim Einsatz von Big-Data-Unternehmen muss davon ausgegangen werden, dass vermeintlich private Informationen über die Erkrankung deanonymisiert werden können. Dies ist in Kombination mit Daten aus anderen Quellen wahrscheinlich. Palantir ist durch seine Kooperationen mit den Organen der US-Regierung, wie NSA, CIA, FBI und allen Bereichen des US-Militärs integraler Bestandteil der US-Sicherheitsarchitektur. Auch in Deutschland laufen Projekte mit den Polizeien in Hessen und NRW .
Ob ein Einsatz in Deutschland geplant ist oder ein Angebot vorliegt, war zunächst nicht bekannt. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte: »Es gibt keine Pläne, mit der Firma zusammenzuarbeiten.« Es habe in den letzten sechs Monaten keine Kontakte zur Firma gegeben. Prinzipiell würde man allerdings keinerlei Auskünfte zum Softwareeinsatz bei Sicherheitsbehörden geben.
Palantir ist nach Recherchen der »Zeit« jedoch in der Vergangenheit bereits in Projekten mit dem Bundesnachrichtendienst eingesetzt worden. Alexander Karp, Firmengründer und Geschäftsführer von Palantir, unterhält starke Beziehungen nach Deutschland. 2011 kooperierte das Software-Unternehmen SAP mit Palantir. Auch eine Kooperation mit der Telekom gab es, jedoch will sich das Unternehmen nicht zu Details äußern. Karp sitzt im Aufsichtsrat der Axel Springer SE sowie im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Konferenzen.
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