»Frauen für den Frieden« in der DDR
In den 80er Jahren wandten sich Oppositionsgruppen gegen Militarisierung und Raketenstationierung
Seit Anfang 1982 reagierten die DDR-Behörden auf unabhängige friedenspolitische Bekundungen spürbar allergisch. Die Angst vor einem Atomkrieg nahm in der Bevölkerung zu. Zivilschutzübungen in vielen Ortschaften und Betrieben sowie die Zunahme militärischer Indoktrinierung in den Bildungseinrichtungen schürten Ängste. Hinzu kam, dass die Volkskammer im März 1982 ein neues Wehrdienstgesetz verabschiedete, dass nun auch Frauen einbezog, ihnen jedoch, im Gegensatz zu den Männern, nicht die Möglichkeit bot, bei der Musterung eine Verweigerung auszusprechen.
Kurz nach der Gesetzesnovelle schrieben verschiedene Frauen persönliche Eingaben. Da ihre schriftlichen Proteste nicht oder nur unzureichend beantwortet wurden, schickten Frauen Ende Oktober 1982 eine gemeinschaftlich verfasste und von circa 130 Frauen unterzeichnete Eingabe zum Wehrdienstgesetz an Erich Honecker. Aus diesem politischen Kontext entstanden die Gruppen »Frauen für den Frieden« in Ost-Berlin und Halle sowie später auch in anderen Städten der DDR. Es folgten Drohungen und Verwarnungen staatlicher Behörden.
Prof. Ruth Leiserowitz, Jahrgang 1958, ist Historikerin. Seit 1982 war sie Mitglied der Ost-Berliner Oppositionsgruppe »Frauen für den Frieden«. Seit 2009 ist sie stellvertretende Direktorin am Deutschen Historischen Institut Warschau; seit 2015 hat sie eine Professur an der Berliner Humboldt-Universität inne. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte Ostmitteleuropas und Jüdische Geschichte.
Der hier dokumentierte Text erschien zuerst in der März-Ausgabe des außenpolitischen Magazins »Welt-Trends«, das einen Themenschwerpunkt »Frauen und Frieden« enthielt.
Foto: privat
Trotzdem fühlten sich die Frauen auf dem richtigen Weg. Die Eingabe an den Staatsratsvorsitzenden wurde im Januar 1983 wegen Nichtbeantwortung wiederholt. Anlässlich des Friedenstreffens in Dresden am 13. Februar stellten Frauen der Berliner Gruppe in der Petrikirche unter dem Motto »Die Kraft der Schwachen« ihr Anliegen dar, wie auch auf dem ersten DDR-weiten Friedensseminar »Konkret für den Frieden« in der Christuskirche in Berlin-Schöneweide im März 1983.
Anfang Juli 1983 stellten Ost-Berliner und Hallenser »Frauen für den Frieden« ihre Aktivitäten an ihrem Stand auf der zweiten Berliner Friedenswerkstatt vor, die von circa 3000 Besuchern frequentiert wurde. Es folgte ein Gemeindetag in der Auferstehungskirche im Friedrichshain am 17. September 1983, wo Öffentlichkeit hergestellt werden konnte. Unter einem abgewandelten Zitat Albert Einsteins, das als Motto diente (»Im Schatten der Atombombe hat sich mehr und mehr gezeigt, dass alle Menschen Brüder [und Schwestern] sind«), diskutierte man in vier Arbeitsgruppen: Kindererziehung und gesellschaftliche Zwänge; Friedensdienst statt Kriegsdienst - Frauen für den Frieden - Frieden für Frauen; Wi(e)der die Verharmlosung des Krieges - Sicherheit ist nirgendwo als im Herzen deines Gegners; Fasten und Beten.
Die Ost-Berliner Frauen fühlten sich in den Kontext der internationalen Protestbewegung eingebunden und beschlossen, ihre Aktivitäten weiterhin parallel zu denen der Frauen aus West-Berlin zu organisieren. Zwischen dem 17. und dem 22. Oktober 1983 fand eine Aktionswoche der Friedensbewegung in der Bundesrepublik und in West-Berlin statt. Der 17. Oktober 1983 war als Widerstandstag der Frauen deklariert worden.
Da in einigen Regionen in der DDR bereits Krankenschwestern gemäß dem neuen Wehrdienstgesetz gemustert und mit einem Wehrpass versehen worden waren, beschlossen die Berliner »Friedensfrauen«, sich - als Zeichen des Protestes ganz in Schwarz gekleidet - am 17. Oktober auf dem Postamt Alexanderplatz zu treffen und gemeinschaftlich ihre Verweigerungen per Einschreiben an das zuständige Wehrbezirkskommando abzusenden. Etwa 40 Frauen folgten dem Aufruf. Die Sicherheitsbehörden griffen ein und nahmen einige Frauen kurzzeitig fest. Auf verschiedenen Arbeitsstellen wurden Verwarnungen ausgesprochen.
Nachdem der Nationale Verteidigungsrat der DDR die Stationierung atomarer Kurzstreckenraketen bereits am 25. Oktober 1983 beschlossen hatte, fand die Nachrüstungsdebatte im Deutschen Bundestag am 21. und 22. November statt. Die »Friedensfrauen« ließen durch die Bundestagsfraktion der Grünen circa 200 Fotos ihrer Kinder verteilen, die verschiedene Texte enthielten, wie »Die Raketen sind auf mich gerichtet - sag Nein!«. Ein Telegramm der Ost-Berliner Frauen an den Bundestag wurde durch Petra Kelly (Die Grünen) verlesen. In der DDR-Öffentlichkeit war das Thema Abrüstung nach den staatlichen Beschlüssen in Ost und West beendet. Wer es weiterhin thematisierte, galt als Störenfried und Staatsfeind - eine politische Eiszeit begann.
Am 12. Dezember 1983 wurden vier von ihnen - Bärbel Bohley, Ulrike Poppe, Jutta Seidel und Irena Kukutz - verhaftet und Ermittlungsverfahren eingeleitet. Jutta Seidel und Irena Kukutz wurden nach 24 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt, aber immer wieder verhört. Bärbel Bohley und Ulrike Poppe wurden sechs Wochen (über Weihnachten) in Haft gehalten.
Eine Woche nach den Verhaftungen organisierten Marianne Gose und Eva Quistorp Mahnwachen der West-Berliner »Frauen für den Frieden« am Checkpoint Charlie, die über die nächsten Wochen trotz strenger Winterkälte aufrechterhalten wurden. Es kam zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen. Dank der internationalen Proteste wurden Bärbel Bohley und Ulrike Poppe am 24. Januar 1984 freigelassen und die Ermittlungsverfahren gegen die vier »Friedensfrauen« eingestellt. Im Juni 1985 eröffnete die Hauptabteilung XX des MfS einen Zentralen Operativen Vorgang (ZOV) unter dem Decknamen »Wespen« mit dem Ziel, alle Frauenfriedensgruppen der DDR zu »bearbeiten«, also zu zersetzen.
Zwischen Mai 1984 und Juni 1985 organisierten die »Frauen für den Frieden« in Ost-Berlin drei gut besuchte Veranstaltungen unter dem Titel »Nachtgebete« in der Auferstehungskirche. Zudem etablierten sich jährlich abgehaltene überregionale Frauentreffen, an denen Mitglieder aus Gruppen vieler Städte in der DDR teilnahmen. Das erste wurde Mitte September 1984 in Halle veranstaltet.
Diese überregionalen Frauentreffen waren sehr wichtig für die Vernetzung der Frauengruppen und wurden bis 1989 jährlich an verschiedenen Orten veranstaltet. Da sie keine große mediale Berichterstattung wollten, sondern sich als Arbeitstreffen verstanden, wurden die Aktivitäten von vielen männlichen Protagonisten der Friedensbewegung nicht wahrgenommen. Doch hier entwickelte sich ein Netzwerk, das gleichgesinnte Frauen in der gesamten Republik verband und so auch Frauen außerhalb der großen Städte ermutigte. Ende der 1980er-Jahre verschoben sich Aktionsschwerpunkte bzw. erweiterte sich das thematische Spektrum.
Im Rückblick lässt sich sagen, dass die Berliner Gruppe über einen Zeitraum von fünf Jahren Veranstaltungen organisierte und trotz staatlicher Repressionen aufzeigen konnte, dass sich der vielfältige Wunsch, aktiv zu werden, sich zu artikulieren und gemeinsame Stärke als Frauen zu demonstrieren, auch unter schwierigen Bedingungen verwirklichen ließ. Dadurch wurde Ermutigung ausgestrahlt sowie aufgezeigt, dass Frauen als wichtige politische Akteure nicht zu unterschätzen sind. Die politische Mobilisierung ließ sich nicht mehr aufhalten, auch wenn sie sich thematisch ausdifferenzierte.
Alle beteiligten Frauen merken im Rückblick an, dass sie in den 1980er-Jahren durch den Zusammenhalt und ihre Aktivitäten innerhalb der Gruppe bestärkt wurden, sich verschiedenen Verantwortungen zu stellen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und Herausforderungen gestärkt gegenüberzustehen. So waren fast alle Protagonistinnen im Herbst 1989 aktiv, viele von ihnen bei den »Runden Tischen« sowie in verschiedenen Gruppen der Bürgerrechtsbewegung.
Im Herbst 2019, zum 30. Jahrestag der friedlichen Revolution, präsentierten die »Frauen für den Frieden« ihre Geschichte in dem von Almut Ilsen und Ruth Leiserowitz herausgegebenen Buch »Seid doch laut - Die Frauen für den Frieden in Ost-Berlin«. Die Veröffentlichung im Ch.-Links-Verlag liegt bereits in 2. Auflage vor, zusätzlich erscheint demnächst eine Ausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.