Banken sollen Kunden ansprechen
Zinsanpassung (Teil 2 und Schluss)
Bei Prämiensparverträgen mit variablem Zins muss auch das sogenannte Äquivalenzprinzip beachtet werden. Erhöhungen und Senkungen des Referenzzinssatzes (siehe Teil I im nd-ratgeber vom 1. April 2020) sind gleichermaßen umzusetzen. Der Bundesgerichtshof (BGH) nimmt für Vertragskonstellationen mit »uneingeschränktem Ermessen« zugunsten der Bank - wie sie in unseren Artikeln beschrieben werden - an, dass der anfängliche Abstand zwischen Vertragszins und Referenzzins über die gesamte Vertragslaufzeit beizubehalten ist.
Liegt der Vertragszins zum Beispiel zu Beginn der Laufzeit bei 4 Prozent und der Referenzzinssatz bei 5 Prozent, muss die Bank über die gesamte Laufzeit 4/5 (80 Prozent) des Referenzzinses an den Kunden weitergeben. Bleibt der Referenzzins also bei 5 Prozent, erhält der Kunde weiterhin 4 Prozent. Sinkt der Referenzzins etwa auf 1 Prozent, ergibt sich ein Vertragszins von 0,8 Prozent. Klettert der Referenzzins auf 6 Prozent, zieht der Vertragszins auf 4,8 Prozent an.
Grundsätzlich müssen Zinsanpassungsklauseln zudem eine sogenannte Anpassungsschwelle enthalten, ab der eine Zinsänderung vorzunehmen ist. Und einen Anpassungszeitraum, nach dem eine Überprüfung der Anpassungsschwelle erfolgen muss. Speziell für Verträge, die unwirksam sind, hat der BGH jedoch Folgendes ausgeführt: Es könne interessengerecht sein, dass eine Anpassungsschwelle ganz entfalle und jede Veränderung des Referenzzinssatzes auch zu einer Veränderung des Vertragszinses führe.
»Unwirksamkeit« nur erster Schritt
Die Rechtsprechung zu ignorieren und die unwirksamen Klauseln bewusst und kommentarlos weiter zu verwenden, sieht die Bafin nun als »Missstand« an. Und bei einem Missstand kann sie eingreifen (§ 4 Abs. 1a Satz 3 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz - FinDAG).
Doch was passiert, wenn feststeht, dass eine Zinsanpassungsklausel unwirksam ist? Wird das Guthaben der Kunden automatisch höher verzinst?
Nein, argumentiert die Bafin. Die unwirksame Zinsanpassungsklausel entfällt vollständig. Dadurch entsteht jedoch eine Lücke im Vertrag. Um diese Lücke zu schließen, müssen sich die Parteien auf eine neue Zinsvereinbarung einigen.
Die Betonung liegt auf »einigen«. Bislang haben viele Geldinstitute den Prämiensparvertrag ihrerseits gekündigt und ihren Kunden einfach nur einen niedrig verzinsten Sparvertrag als Alternative angeboten. Damit sollte aus Sicht der Bafin nun Schluss sein.
Soweit der Vorschlag der Finanzaufsicht. Ob dadurch tatsächlich eine einvernehmliche Einigung zwischen Bank und Kunde gelingt, bleibt abzuwarten. Andernfalls muss die Lücke im Vertrag von einem Gericht im Wege »der ergänzenden Vertragsauslegung« geschlossen werden. Dabei muss das Gericht den wirklichen Willen der Parteien erforschen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Und es muss den Vertrag so auslegen, »wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern« (§ 157 BGB).
Übersetzt heißt das: Die Gerichte müssen feststellen, welche Regelung die Vertragsparteien getroffen hätten, wenn sie gewusst hätten, dass die Zinsanpassungsklausel unwirksam ist. Die neue Zinsregelung gilt dann rückwirkend - mit der Folge, dass die Zinsen auch für die Vergangenheit gemäß der neuen Klausel nachberechnet werden müssten.
Gerichte entscheiden
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Entscheidungen lediglich allgemeine Anforderungen aufgestellt. Eine Konkretisierung ist nach Ansicht der Bafin insbesondere von zwei von der Verbraucherzentrale Sachsen eingereichten Musterfeststellungsklagen vor dem Oberlandesgericht in Dresden (Az. 5 MK 1/19 und Az. 5 MK 2/19) zu erwarten. Allgemein gehen Beobachter davon aus, dass das Dresdner Gericht in diesen Verfahren offene Fragen für die Praxis klären wird.
»Die Position der staatlichen Finanzaufsicht Bafin wird bei den Verhandlungen hinreichend berücksichtigt werden«, ist sich Verbraucherschützerin Heyer sicher. Es gibt allerdings keine Automatismen, warnt die Bafin. Unwirksame Zinsklauseln führen also nicht automatisch dazu, dass Kunden eine höhere Verzinsung erhalten.
Verbraucher sollten daher zunächst ihren Vertrag gründlich auf mögliche unwirksame Klauseln prüfen und, falls sie zu den Betroffenen zählen, mit ihrer Bank über eine Ersatzklausel verhandeln.
In Zweifelsfällen können Bankkunden sich an Verbraucherschutzorganisationen wenden oder auch anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine weitere Möglichkeit ist es, sich bei der Bafin in Bonn zu beschweren. Im Einzelfall kann sie einem Verbraucher zwar nicht zu einer gewünschten Vertragsauslegung verhelfen. Dies ist ausschließlich Sache der zuständigen Gerichte.
Wenn die Bafin allerdings feststellt, dass ein Missstand vorliegt, dann wird sie dafür sorgen, dass dieser beseitigt wird, versichert ein Sprecher der Finanzaufsicht.
Informationen für Sparer der Sparkassen Leipzig, Erzgebirge und Zwickau sind im Internet unter www.verbraucherzentrale-sachsen.de/musterfeststellungsklage zu finden.
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