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Ausgequetscht wie Zitronen
Arbeitsminister Heil erlaubt Ausweitung der Arbeitszeiten für Menschen in systemrelevanten Berufen / ver.di-Chef Werneke: Maßnahme geht an die Grenze der Belastbarkeit der Beschäftigten
Die Bundesregierung erlaubt bis Ende Juni die Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden und die Verkürzung der Ruhezeiten auf neun Stunden für systemrelevante Tätigkeiten. Die »Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge der COVID-19-Epidemie« gelten unter anderem für Pfleger und medizinisches Personal. Auch Sicherheitsdienstleister, Rettungskräfte und Feuerwehrleute sollen in den nächsten drei Monate länger arbeiten, wenn dies nicht »durch vorausschauende organisatorische Maßnahmen einschließlich notwendiger Arbeitszeitdisposition, durch Einstellungen oder sonstige personalwirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann«. Mit der Unterschrift des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch tritt die Rechtsverordnung ohne weitere Befassung im Kabinett in Kraft.
Die Reaktion der Betroffenen ließ nicht lange auf sich warten: »Wir sind verdammt wütend! 12 Stunden Schichten mit nur 9 Stunden Ruhephase? Alle die jetzt systemrelevant sind, sollen also verheizt werden?«, twitterte das Berliner Bündnis für Mehr Personal im Krankenhaus am Morgen nach der Meldung. Etliche Krankenschwestern und Pfleger wendeten sich im Netz direkt an Arbeitsminister: »Können Sie mir mal sagen, warum Sie uns hassen? In die Wirtschaft pumpen sie Milliarden und uns beuten Sie weiter aus. Wir bekommen nichts. Gar nichts«, twitterte eine Nutzerin, die auf einer Intensivstation arbeitet. Viele zweifeln an der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen im Gesundheitswesen: Es erkrankten und stürben weniger Leute, wenn die Schichten kürzer seien, mahnte ein Nutzer. Die Verlängerung der Arbeitszeiten sorge für noch mehr krankheitsbedingte Ausfälle und mache die Pflegeberufe noch unattraktiver, ergänzten andere.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke mahnte, die Beschäftigten in systemrelevanten Bereichen bedürften besonderen Schutz. Seine Gewerkschaft forderte am Mittwoch, die Anwendung der geplanten Arbeitszeitverordnung auf unvermeidliche Ausnahmesituationen zu beschränken. »Die Verlängerung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Einschränkung der Ruhezeiten geht hart an die Grenze der Belastbarkeit und muss sofort wieder zurückgenommen werden, sobald eine außerordentliche Notsituation überwunden ist«, stellte Werneke klar. Auf Drängen von ver.di sind Beschäftige in Verkaufsstellen – insbesondere in Lebensmittelfilialen – und von Lieferdiensten von der neuen Verordnung ausgenommen.
Aus der Opposition werden ebenfalls Gegenstimmen laut: Susanne Ferschl (Linke) bezeichnete die neue Verordnung als einen »Schlag ins Gesicht all derer, die ihre Gesundheit schon jetzt täglich für uns alle riskieren«. Anstatt die Arbeitsbedingungen zu verbessern, würden die ohnehin schon überlasteten Beschäftigten wie Zitronen ausgequetscht. Offensichtlich sei es der Bundesregierung wichtiger, den Arbeitgebern vorgezogene Ostereier ins Nest zu legen, als sich um den Schutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu kümmern, kommentierte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.
Durch die Covid19-Pandemie ist die Diskussion um die verheerende Lage im Gesundheitswesen bereits in den letzten Wochen entflammt. Juso-Vorsitzender Kühnert forderte eine grundlegende Änderung im deutschen Gesundheitssystem nach der Krise. Es sei zu viel gespart worden in den vergangenen Jahren, sagte er im Gespräch mit dem Radiosender rbb 88.8. Krankenhäuser würden momentan wie Autohäuser betrieben.
Erst vergangene Woche hatte auch Arbeitsminister Heil eine Überprüfung des deutschen Gesundheitssystems für die Zeit nach der Coronakrise verlangt. Die Gesundheit könne kein rein marktwirtschaftliches Gut sein, sagte der Politiker der »Rheinischen Post«. Es müsse darüber gesprochen werden, ob nicht dauerhaft mehr für Gesundheit und Pflege ausgegeben werden solle. Schon damals forderte ein Nutzer: »Handeln Sie jetzt, nicht nach der Krise. Es braucht dringend eine Reform der Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem.« Die Genehmigung von Zwölf-Stunden-Schichten war damit wohl nicht gemeint.
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