- Politik
- Coronakrise
Drosten ist nicht Greta
Die Coronakrise zeigt, was möglich ist. Doch die Chancen für eine sozial-ökologische Transformation erhöht das nicht unbedingt.
Wer sich für Klimaschutz einsetzt, ist Leid gewöhnt. Und an das Gefühl von Wut und Ohnmacht. Schließlich liegen die Fakten in aller Bedrohlichkeit auf dem Tisch. Auch die Maßnahmen, um eine schlichtweg dystopische Zukunft noch abwenden zu können, sind bekannt und wären durchführbar - und trotzdem passiert: bisher so gut wie nichts.
Der Beginn der Coronakrise in Europa dürfte manche an diese Situation erinnert haben. Das Schreckenspotenzial eines ungebremsten »Weiter so« war erheblich, die Warnungen der Wissenschaft so klar wie drastisch. Das Haus brannte - und dann passierte es: Die Menschen handelten und versuchten zu löschen. Die weltweit getroffenen Entscheidungen zur Eindämmung des Virus sind in vielem zu kritisieren, und in ihrem Fahrwasser schwimmt fraglos viel Fauliges und Verlogenes mit, nicht nur rund um das Thema Flüchtlingslager auf Lesbos. Trotzdem nährt die Entschlossenheit der Reaktion auf die Pandemie bei vielen durchaus auch Hoffnungen: Was bei Corona geht, könnte doch auch beim Klima gehen? Diese Hoffnungen gründen sich weniger auf den massiven Einbruch der Treibhausgasemissionen im Zuge des Shutdowns, der selbst Deutschland die schon aufgegebenen Klimaziele nun plötzlich wieder erreichen lassen könnte. Die Hoffnungen nähren sich aus den massiven Veränderungen in Alltag und Wirtschaftsleben, die in kürzester Zeit Realität wurden. Darunter finden sich eben nicht nur Konzertverbote und Kontaktauflagen, sondern auch der Bruch mit der elenden Schuldenbremse, Eingriffe bei den Miethöhen oder Lockerungen des Arbeitsverbots für Geflüchtete. Die Versuchung liegt nah, darauf zu verweisen, was alles möglich wird, wenn wir nur wollen, weil wir eingesehen haben, dass wir müssen. Die Viruspandemie gewissermaßen als Blaupause für die Durchsetzung des objektiv Notwendigen.
Über Ähnlichkeiten zwischen Corona und Klimakrise ist in den vergangenen Wochen viel geschrieben worden. Tatsächlich lassen sich etliche Parallelen ziehen - die existenzielle Gefahr und der zentrale Faktor Zeit, der Widerstand der rechten Wissenschaftsleugner, die verschiedenen Betroffenheiten der Menschen, sortiert nach Herkunft, Klasse, Alter. Auch über die Exponentialfunktion ist viel geschrieben worden. So breite Einigkeit wie bei FlattenTheCurve gab es lange nicht. Das Abflachen der Infektionskurve ist nicht nur erklärtes Staatsziel, sondern wird hierzulande vom größten Teil der Bevölkerung nach Kräften unterstützt. Markiert die rote Linie, die es im Zeitverlauf nicht zu überschreiten gilt, in der Pandemie die maximalen Kapazitäten der Intensivmedizin, so würde sie in der Analogie mit der Klimakrise die »planetarischen Grenzen« darstellen, die äußersten Belastungspunkte des Erdsystems, jenseits derer unkontrollierbare Rückkopplungen drohen.
Doch wie steil ihre Kurve auch verläuft, Virusinfektionen schwellen früher oder später ab, finden irgendwann sogar ein Ende. Für die Aufheizung der Atmosphäre dagegen ist eine vergleichbare Rückkehr in den Ausgangszustand bislang reine Science-Fiction - einmal verursachte Veränderungen sind für enorme Zeitspannen nicht rückgängig zu machen. Spätestens hier stößt der Vergleich also an seine Grenzen. Eine Pandemie ist eben keine Verschiebung atmosphärischer Gleichgewichte, Christian Drosten ist nicht Greta Thunberg - und es besteht erst recht keine Hoffnung, dass in den kommenden Jahren ein Impfstoff gegen die Kipppunkte des Weltklimas gefunden wird oder dass Ökosysteme durch Herdenimmunität gegenüber Dürren und Hurrikans »die Kurve kriegen«.
Unsere Krisen sind politisch
Elena Balthesen über den unterschiedlichen Umgang mit der Coronakrise und dem Klimawandel
Wer die aktuellen Ereignisse und Maßnahmen gegen Covid-19 als Inspiration oder gar Vorbild für den notwendigen sozial-ökologischen Systemwechsel heranzuziehen versucht, stößt auf gleich mehrere Probleme. Zum einen erleben viele Menschen auf der Welt die aktuellen Ausnahmezustände als gewaltvolle Bedrohung, oftmals gar ihrer Existenz. Viele Arme des Globalen Südens dürften der Durchsetzung von drastischen Maßnahmen gegen den Klimanotstand daher mehr als skeptisch gegenüberstehen. Nachdenklich stimmen sollte auch, dass die Bereitschaft zum vorübergehenden Umsteuern eben nicht durch breit getragenen Veränderungswillen, sondern durch das äußerst drastische Szenario unmittelbar drohender Leichenberge erzwungen wurde. Natürlich können auch derlei Zwangslagen das Denken positiv verändern. Und natürlich spricht bei näherer Betrachtung herzlich wenig dafür, die mangelhafte alte Welt und ihre eingeübten Abläufe nach dem Stillstand möglichst originalgetreu wieder aufzubauen. Im Moment sorgt die Situation jedoch nicht für eine Durchseuchung mit utopischem Streben, sondern befeuert bei den meisten eher die Sehnsucht nach genau jener verlassenen Normalität, die selbst Ursache der meisten Probleme unser Zeit ist - der heraufziehenden Klimakatastrophe ganz vorneweg. Dass die Erfahrung erzwungener Strukturbrüche automatisch in gesteigerte Offenheit für eine sozial-ökologische Transformation mündet, hat das ostdeutsche Beispiel nach der Wende zudem anschaulich widerlegt.
Wie das Virus und die gerade über die Welt hereinbrechende Wirtschaftskrise die Bedingungen für progressive Politik verändern werden, lässt sich noch nicht absehen. Dass Corona die Kämpfe um eine gerechte Zukunft für alle am Ende einfacher macht, ist im Moment jedenfalls nicht mehr als Hoffen und Wünschen. Es stimmt, die aktuelle Situation zeigt eindrücklich, wie schnell sich vermeintliche Gewissheiten auflösen und gesellschaftliche Praxen verändern können. Und schon im letzten Jahr hatte »Fridays for Future« mit breit getragenen Protesten bewiesen, dass der Klimawandel ein mobilisierungsfähiges Thema ist. Diese Offenheit der Geschichte sollte jedoch Anlass sein, die Gelegenheit der Krise nicht mit dem bloßen Abspulen eigener alter Forderungen zu vertun. So richtig sie im Einzelnen sein mögen, so wenig mitreißend wirkt das in der Regel. Der Shutdown bietet die Chance, Strategien zu überdenken und den Kurs an neue Bedingungen und Erfahrungen anzupassen. Es wird früh genug entschlossene Kante gegen die fossil-kapitalistische Restauration brauchen. Denn die Klimakurven steigen weiter.
Steffen Kühne arbeitet für die Rosa-Luxemburg- Stiftung zum Thema sozial-ökologischer Umbau und lebt in Berlin.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.