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Dutertes tödliche Maßnahmen
Einwohner der Philippinen müssen mehr als nur das Coronavirus fürchten
Man wird sich noch länger fürchten müssen. Eigentlich sollten die Ausgangssperren im Norden der Philippinen, die 57 Millionen Menschen betreffen, am 12. April enden. Vergangene Woche aber verkündete Präsident Rodrigo Duterte, dass sie zunächst bis zum 30. April gelten. Denn zwischen der Verkündung der ersten Ausgangssperre und dem Tag ihrer Verlängerung hatten sich die Infektionszahlen im Land auf zwischenzeitlich 3700 verzwanzigfacht. Bei allen Einschränkungen, die so eine Maßnahme mit sich bringt: Die Menschen müssten sich dadurch sicherer fühlen, weil das Ansteckungsrisiko inmitten der Coronakrise bei Quarantäne nachlässt.
Doch im südostasiatischen 106-Millionen-Einwohner-Land verlängert ein ausgedehnter Lockdown zugleich das Spiel mit dem Tod. Denn Rodrigo Duterte hat an die Polizei und das Militär die Anweisung erteilt: »Erschießt sie!« Gemeint sind alle, die sich nicht an die Ausgangssperren halten. Schließlich sei es von zentraler Wichtigkeit, so Duterte, dass sich in dieser kritischen Phase alle Menschen an die Regeln hielten. Wer dies nicht tue, begehe ein schweres Vergehen, und das müsse entsprechend bestraft werden.
Tatsächlich sind seither schon Schüsse auf den Straßen gefallen. Menschen, die sich an den letzten Tagen den Anweisungen zum Trotz draußen aufhielten, leben jetzt nicht mehr. Es ist eine Politik der Unverhältnismäßigkeit, die in den Philippinen fast schon niemanden mehr überraschen kann. Seit Jahren erlebt das südostasiatische Land eine zivilisatorische Katastrophe. Im Mai 2016 wählten die Filipinos mit dem nun 75-jährigen Rodrigo Duterte einen Mann zu ihrem Präsidenten, der Rauschmittel zum Dämon der Gesellschaft erklärte und so das Töten legitimierte, obwohl das eigentliche Problem schon lange soziale Ungleichheit ist.
In seinem Wahlkampf hatte Duterte damit geworben, was er schon über 22 Jahre als Bürgermeister der südphilippinischen Stadt Davao durchgezogen hatte. Aus einem sozialen Brennpunkt war dort unter seiner Ägide ein vermeintlich sicherer Ort geworden. Duterte selbst erklärte seine Politik einmal so: »Was glaubt ihr, wie ich das gemacht habe? Alle (Kriminellen) töten.« Diesen »Drogenkrieg« führt Duterte seither auf nationaler Ebene. Zehntausende Drogenabhängige sowie solche Personen, die man dafür hält, sind seither erschossen worden. Die Straßenkriminalität hat seither abgenommen. Dafür grassiert das Töten.
Die Opfer der Politik Dutertes sind vor allem ärmere Menschen. Denn entweder sind diese tatsächlich drogenabhängig, oder aber, so kritisiert die Menschenrechtsorganisation iDefend aus Manila, die Polizisten suchen sich Bauernopfer. Da Polizisten mit Kopfpauschalen belohnt würden, erschössen sie, wenn sie die eigentlich gesuchte Person nicht finden können, gelegentlich ersatzweise jemand anderen aus einem armen Viertel. Anschuldigungen dieser Art gibt es mittlerweile mehrfach.
Auch die aktuellen Drohgebärden inmitten der Quarantänezeit zielen auf die Schwächeren der Gesellschaft ab. Als Duterte zuletzt ankündigte, nun nicht mehr nur einen »Krieg gegen Drogen« zu führen, sondern auch einen Feldzug gegen Menschen, die vor die Tür gehen, hatten kurz zuvor Slumbewohner auf der Straße protestiert. Inmitten des Lockdowns hatten diese keine Hilfspakete mehr erhalten. Dutertes Antwort auf das, was für ihn nur nach dreistem Regelbruch aussah: »Fordert nicht die Regierung heraus. Ihr werdet verlieren.«
Ironischerweise verbreitet der Präsident mit seiner scharfen Rhetorik mindestens so viel Schrecken wie Sicherheit. »Duterte ist völlig willkürlich«, sagt ein 32-jähriger Filipino am Telefon, der seinen Namen lieber nicht nennen will. »Zu Anfang seiner Regentschaft dachtest du wenigstens, es war klar, was die Regeln unter ihm sind. Aber mittlerweile ist er unberechenbar.« Eine junge Frau aus Manila sagt: »Bevor Duterte an die Macht kam, konntest du in überall hingehen. Das Leben war locker. Heute gibt es Viertel, die ich lieber meide, weil die Polizei und die Schwadronen dort häufig Menschen erschießen. Und jetzt wird es noch schlimmer.«
Doch wer denkt, die Mehrheit würde ihrem Präsidenten nun den Rücken kehren, könnte sich getäuscht sehen. Laut einer Umfrage der Marktforschungsfirma Publicus Asia sind zwei Drittel der Bewohner der Metropolregion Manila mit den Krisenbekämpfungsmaßnahmen Dutertes einverstanden. Zugleich greift Duterte auch gegen kritische Stimmen seit Jahren zu harschen Mitteln. Journalisten werden eingeschüchtert, politische Feinde landen im Gefängnis; freie Meinungsäußerung ist schwieriger geworden. In der Bekämpfung des Coronavirus wirkt Rodrigo Duterte bisher weniger durchschlagskräftig. Zuletzt appellierte er an Unternehmer und Wohlhabende im Land, finanzielle Unterstützung zu leisten. Von einem Schießbefehl gegen diejenigen, die absagen, war bisher nichts zu hören.
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