- Berlin
- AWO
Obdachlose Frauen sollen raus
Eine AWO-Einrichtung der Kältehilfe soll trotz Coronakrise schließen
»Wir sind verbittert und enttäuscht«, sagt Manfred Nowak, Vorstandsvorsitzender bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Kreisverband Mitte am Dienstag dem »nd«. »Für uns ist die Entscheidung, die ›Pumpe‹ als Unterkunft zu schließen, nicht nachvollziehbar - und sie gefährdet in höchstem Maße die betroffenen Frauen«, so der Verbandsverantwortliche.
Nowak empört sich über die Entscheidung des Bezirksamts Mitte, für die von der AWO betriebene Obdachlosenunterkunft »Pumpe Moabit« keine Finanzmittel mehr zur Verfügung zu stellen, um die saisonalen Angebote der Kältehilfe fortzuführen. Schon in der dritten Saison, so Nowak, betreue der Wohlfahrtsverband in diesem Rahmen obdachlose Frauen - seit November 2019 sind es in der hiesigen Saison 17 Personen.
Das Haus betreibt der Landesverband des Vereins in der Hauptsache als Jugendkulturzentrum, das nun Corona-bedingt geschlossen ist. Es befindet sich in der Lützowstraße im Stadtteil Tiergarten. Wer den Kiez kennt, weiß, dass es sich zu jeder Jahreszeit um einen sozial belasteten Bereich handelt: Es gibt viel Prostitution und Drogengebrauch auf der Straße.
Besetzen in Zeiten von Corona
In Berlin werden zehn Wohnungen für Obdachlose besetzt und die Aktion live übertragen
»Die Gäste, die hier in der kalten Jahreszeit unsere Angebote in Anspruch nehmen, haben alle einen problematischen Hintergrund«, erklärt Nowak. Sie seien angesichts der Ausbreitung des Coronavirus und der Maßnahmen zu dessen Eindämmung besonders betroffen, träfen aber in der »Pumpe« auf hochmotivierte Mitarbeiter*innen, die »ein sehr gutes Feeling« für die Situation der Frauen hätten, sagt der Vorstand.
Man habe angesichts der Pandemie für die Kolleg*innen unter einigen Schwierigkeiten sogar die nötige Schutzkleidung aufgetrieben, damit alle vollumfänglich arbeiten könnten. »Alle haben sich mit hohem Engagement in die Sache hineingestürzt und sind nun sehr irritiert«, berichtet Nowak.
Diese Irritation ist besonders groß, weil sich Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) noch vor wenigen Wochen dafür ausgesprochen hatte, Kältehilfe-Angebote für die Zeit der Coronakrise aufrechtzuerhalten. Sie hatte die Bereitstellung von mindestens zwei Einrichtungen angeregt, in denen insgesamt 350 obdachlose Menschen in dieser Zeit, in der diese noch einmal mehr besonderen Schutz benötigten, unterkommen könnten.
Es sei gerade diese politische Erklärung gewesen, vor deren Hintergrund man bei der Entscheidung, die »Pumpe« über den 22. März hinaus dauerhaft als Unterkunft für die Frauen zu betreiben, gern in Vorlage gegangen sei, sagt Manfred Nowak.
Elke Breitenbach reagiert auf die implizite Kritik einigermaßen ungehalten. »Die AWO weiß, dass die Bezirke für die Unterbringung von Obdachlosen und für die Kältehilfe zuständig sind«, erklärt die Senatorin. Man versuche seitens der Senatssozialverwaltung trotzdem, Lösungen zu finden und die Bezirke zu unterstützen. »Wir hatten dem Bezirk Mitte angeboten, dass die Frauen ins Gästehaus der Stadtmission in der Lehrter Straße ziehen können. Doch die Stadtmission sieht sich derzeit nicht in der Lage, diese Unterkunft in Kürze in Betrieb zu nehmen«, so Breitenbach. »Das Geld ist da, Unterkünfte auch, aber nicht genügend Soziarbeiterinnen und Sozialarbeiter«, erklärt Breitenbachs Sprecher Stefan Strauß.
Für Manfred Nowak geht die Entscheidung vor allem zu Lasten der Frauen: »Die Entscheidung zwingt uns, das Angebot rasch zu beenden.« Man müsse die Betroffenen zurück auf die Straße schicken.
Das Bezirksamt Mitte äußerte sich auf »nd«-Anfrage bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.