Die Fans sollen helfen
Einige Fußballvereine brauchen ihre Anhänger jetzt zum Überleben, andere wollen die Spenden weitergeben
Als zweifacher Familienvater und langjähriges Vorstandsmitglied von Eintracht Frankfurt ist Axel Hellmann zu sehr im Leben verwurzelt, als dass er nicht wüsste, wem der hessische Bundesligist seine heutige »Kraft, Wucht und Stärke« zu verdanken hätte: Die Basis würden jene Anhänger bilden, die Eintrittskarten, Fanartikel und Bezahlabos kaufen, die nicht nur zum Pokalfinale nach Berlin reisen, sondern auch zum Europa-League-Qualifikationsspiel gegen Vaduz die Arena füllen.
Wenn wegen der Coronakrise für »Fußball noch nicht die Zeit ist«, wie Hellmann am Dienstag sagte, bietet sich die Gelegenheit, den Zusammenhalt noch auszuweiten. So wird nun eine Kampagne wiederbelebt, die unter dem Slogan »Auf jetzt! Gemeinsam für die Eintracht!« 2016 in höchster Abstiegsnot aufgelegt wurde. Was damals als Schulterschluss im Kampf um den Klassenerhalt beschworen wurde, soll nun in gemeinsame Hilfsaktionen gegen das Virus überführt werden. Die Inhaber von 80 000 Tageskarten, 30 000 Dauerkarten und 1000 Logen und Businessplätzen wurden über die Ostertage angeschrieben, um lokale Organisationen zu unterstützen, die in Frankfurt an vorderster Linie kämpfen: die Arche, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie Hessen, die Tafel und das Universitätsklinikum. Das Prinzip ist einfach: Sollten die verbleibenden fünf Heimpartien nur als Geisterspiele stattfinden, können die daraus zustehenden Rückerstattungen direkt an diese Institutionen umgeleitet werden.
»Eintracht Frankfurt hat als bedeutender Klub dieser Region und großer Traditionsverein eine Vorbildfunktion und kann mit Wucht und Power Menschen verbinden und einen großen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt leisten«, sagte Hellmann, dem es »um Worte, Taten und Spenden« geht. Einer, der wegen Kurzarbeit weniger Gehalt auf dem Konto hat, kann natürlich das Geld zurückbekommen. Andere aber, »die es sich leisten können«, sollten sich überlegen, ob sie jetzt Gutes tun. Dritte Variante ist der Verzicht zugunsten des Vereins. Dauerkarteninhaber können die Beträge auch splitten. Hellmann erwartet als Spende bestenfalls »keinen geringen Millionenbetrag«.
Der auch in die Deutsche Fußball Liga gut vernetzte 48-Jährige empfahl übrigens, dass erst wieder der Spielbetrieb fortgesetzt wird, »wenn es medizinisch vertretbar ist«. Wirtschaftliche Parameter dürften nicht der Treiber sein. Diese ehrbare Haltung kann sich die noch in drei Wettbewerben vertretene und finanziell gut ausgepolsterte Eintracht dank einer »vierjährigen Erfolgstour« eher als andere Konkurrenten leisten.
Woanders ist der Appell an die Solidarität bereits mit dem Ringen ums wirtschaftliche Überleben verknüpft. Der offenbar bald auf die Zahlungsunfähigkeit zusteuernde FC Schalke 04 hat vergangenen Woche eine »Information für alle Ticketinhaber« versandt - ein Bittgesuch. Alle 44 000 Dauerkarteninhaber sollen auf die anteilige Rückerstattung verzichten, falls die verbliebenen vier Heimspiele noch vor leeren Rängen ausgetragen werden müssen. Der Klub steht schließlich »aktuell vor einer potenziell existenzbedrohenden Situation«, hieß es, jeder einzelne Verzicht sichere das längere Überleben des Vereins. Selbst ohne Corona hätte das königsblaue Geschäftsjahr wieder einen fetten Fehlbetrag ergeben. Schalke hat seinen Etat seit geraumer Zeit viel zu sehr auf Kante genäht. Nun soll die treue Fangemeinde das wacklige Gebilde in Gelsenkirchen stützen.
Ein anderer Krisenort liegt im Norden, wo eine grün-weiße Fußballfamilie in der Not zusammenhalten soll. Werder und Bremen sind auch in normalen Zeiten finanziell nicht auf Rosen gebettet: Der Klub lebt von der Hand in den Mund, der Stadtstaat hängt am Tropf des Länderfinanzausgleichs. Der SV Werder gibt jene identitätsstiftende Marke, an der sich fast alle klammern - in guten wie in schlechten Zeiten. Der Verein hat es nach dem Double 2004 geschafft, den Part als gesellschaftlicher Anker mit sozialem Gewissen glaubwürdig zu besetzen.
Dazu passt die neuste Aktion: 1800 Dauerkartenbesitzer und Mitglieder, die älter als 70 Jahre sind, bekamen einen Telefonanruf. Plötzlich hatten sie Aufsichtsratschef Marco Bode, Mittelfeldspieler Philipp Bargfrede, Sportchef Frank Baumann oder Geschäftsführer Klaus Filbry am Hörer, die sich nach dem Befinden erkundigten. Ein bisschen Kalkül steckte freilich auch dahinter: Wer persönlich angerufen wird, verzichtet vielleicht eher freiwillig auf finanzielle Erstattung entgangener Heimspiele. Dass das Weserstadion im Abstiegskampf nicht mehr zum Faktor wird, ist Handicap genug, wenn der sportliche Überlebenskampf weitergeht.
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