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Für das Recht auf Abstand
In Bremen zeigen Geflüchtete, dass Demonstrieren trotz Corona möglich ist. Sie fordern besseren Schutz - für alle Menschen
Dass Demonstrieren auch zu Corona-Zeiten funktionieren kann, bewiesen am Freitag in Bremen Aktivist*innen, die für die Schließung der Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Geflüchtete protestierten. Die Protestierenden hielten sich an die Auflagen der Behörden und liefen in vier Blocks mit je maximal 15 Menschen, die jeweils 2 Meter Abstand voneinander hielten. Einen so großen Abstand zueinander zu halten, sei in der Geflüchtetenunterkunft nicht möglich, sagten sie. An der Spitze der Demonstration liefen Bewohner*innen der LEA, gefolgt von Unterstützer*innen von Together we are Bremen (TWAB), der Corona-Allianz und Solidarity City Bremen. Die Protestierenden liefen erst zur zuständigen Sozialbehörde (Grüne), dann zur Gesundheitsbehörde (Linke). Am Straßenrand standen Menschen mit Transparenten. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz kamen laut Veranstalter*innen etwa 300 Menschen zusammen.
Vor dem Rathaus übergaben zwei Bewohner*innen dem Bürgermeister Andreas Bovenschulte ihre Petition mit am Freitag fast 4200 Unterschriften. Sie fordern seit Wochen die Schließung der LEA und den Umzug in Hotels, Hostels und Übergangswohnheime, da die Bedingungen in einer Massenunterkunft keinen Schutz vor einer Corona-Infektion gewährleisten könnten. Diese Forderung unterstützten mehrere Wissenschaftler*innen in einer Anzeige in der taz Nord. Der Epidemiologe Hajo Zeeb bekräftigte kürzlich gegenüber »nd« , dass »alternative Unterbringungsmöglichkeiten mit hoher Dringlichkeit umgesetzt werden sollten«.
Der Bremer Bürgermeister Bovenschulte sagte dem »nd«, dass der Senat die Petition zum Anlass nehmen werde, sich die Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung noch einmal genau anzusehen und die Lage erneut zu bewerten.
»Betrachtet die Leute in den Flüchtlingscamps nicht als eine andere Sorte Mensch«, forderte der Bewohner Fabu in seinen Reden. »Wir sind auch Menschen. Schützt uns vor Corona!«. Nur wegen eines rassistischen Systems lebten immer noch Menschen in der LEA, sagte Lamin, ein Aktivist von TWAB. Deutsche würden nicht unter den schrecklichen Bedingungen des Lagers Lindenstraße leben wollen, erst recht nicht in der Coronakrise. »Jedes Leben sollte geschützt werden«, rief er, auch das von Migrant*innen und Schwarzen.
Fatoumata (Name geändert), die aus Angst vor Repressionen anonym bleiben möchte, berichtete gegenüber »nd« von den Zuständen in der Unterkunft. Seit Dienstag stünde ihr Flur unter Quarantäne. Polizist*innen seien mit weißen Masken gekommen und hätten die Bewohner*innen aufgefordert, in ihren Zimmern zu bleiben. Dort lebten bis zu 6 Bewohner*innen zusammen, die Betten stehen dicht an dicht, das zeigt sie »nd« in einem Videoanruf. »Es ist wie im Gefängnis«, sagte sie. Am Mittwoch seien alle auf ihrem Flur getestet worden. Fatoumata selbst habe noch kein Testergebnis. Sie zeigt im Video den Raum, in dem sich in Folien gewickelte Teller mit Essenstapeln. Daneben stehen ein Wasserspender und übereinander gestapelte Plastikbecher. Epidemiologisch gesichert ist hier kaum etwas: Die Türklinken der gemeinsam benutzten Toiletten könnten das Virus übertragen. Die Fenster in den Gängen seien letzte Woche zum ersten Mal für Ärzt*innen geöffnet worden. Für Bewohner*innen hingegen blieben die Fenster geschlossen.
In der für 750 Plätze ausgelegten Unterkunft leben laut dem zuständigen Sozialressort inzwischen noch 380 Menschen auf 200 Zimmern, nachdem Menschen der Corona-Risikogruppe und andere Bewohner bereits anderweitig untergebracht wurden. Bei 33 von 62 getesteten Personen in einem Quarantäne-Flur sei das Virus inzwischen nachgewiesen worden. Dies entspricht einer Infektionsrate von 50 Prozent . Eine ähnlich hohe Zahl, wie vor Kurzem auch bei einem Corona-Ausbruch in der baden-württembergischen LEA in Ellwangen.
Die Linke Bremen stellte sich bereits vor Wochen hinter die Forderungen der Aktivist*innen. Ihr Koalitionspartner, die Grünen , veröffentlichten vergangene Woche ein Positionspapier: Man sei weder jetzt noch nach Corona dafür, die LEA zu schließen . Derweil bekommt der Bremer Senat Druck von anderer Stelle: die Dorint-Hotels fordern Entschädigungen wegen der Corona-Beschränkungen. Die Demonstrierenden schlagen hier schon seit Wochen eine Win-Win-Lösung vor: der Umzug aus der LEA in leere Hotelzimmer.
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