Der Ausgangspunkt

Seuchen, Zombies und Heimsuchungen: Was können uns fiktive Pandemien lehren?

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

Kaum ein Buch oder Film dürfte die Vorstellung dessen, was eine Pandemie ist und wie dramatisch sie sich entwickeln kann, in jüngster Zeit so stark beeinflusst haben wie Steven Soderberghs Film »Contagion« von 2011. Das Thema Pandemie boomte in der Kulturindustrie Anfang der 2010er Jahre im Nachklapp zur Schweinegrippen-Epidemie von 2009. Wobei die Mortalitätsrate des Influenzavirus, das in »Contagion« die Erde heimsucht, weitaus höher liegt als die des sich aktuell verbreitenden Coronavirus’. Der Film spielt durchaus realistische Szenarien einer Pandemie durch, aber Hollywood inszeniert das Thema gerne möglichst drastisch. Das war auch schon 1995 in dem Film »Outbreak« mit Dustin Hoffmann so.

Experten und Psychologen raten derzeit davon ab, sich solche Filme anzusehen, denn beruhigend wirken sie sicher keinesfalls. Wobei in Hollywood immer noch eine Steigerung des Gruselfaktors möglich ist: Wie nachhaltig eine ganze Zivilisation von einem Virus in die Knie gezwungen werden kann, zeigt »12 Monkeys« (1995) mit Bruce Willis - ein Film, der in den vergangenen Jahren auch als Serie fortgesetzt wurde. Auch hier gilt: je drastischer, desto besser.

Ein Drehbuchautor, der Geldgeber für die Umsetzung einer Geschichte gesucht hätte, in der ein Virus mit einer Mortalitätsrate von ungefähr vier Prozent wütet - wie jetzt Corona das Leben auf der Erde binnen weniger Wochen auf den Kopf stellt - wäre in Hollywood wahrscheinlich kaum ernst genommen worden.

Die kulturindustrielle Verarbeitung des Pandemiestoffes ist meist darauf angelegt, ein möglichst derb inszeniertes Scheitern gesellschaftlicher Ordnungen durchzuexerzieren. Die Pandemie wird dabei zum Ausgangspunkt eines tief gehenden sozialen Wandels, der so plötzlich kommt und so einschneidend ist, dass er auch gerne - wie derzeit in den Diskursen so mancher Politiker - mit einem Krieg verglichen wird. Der Film »World War Z« ist dafür ein gutes Beispiel: Ein Virus verändert die Menschen so, dass sie zu Zombies werden. Sobald jemand infiziert wird, ist er Teil des Bedrohungsclusters, das identifiziert und »exterminiert« werden soll. In »World War Z« wird ein Maximum an Militärmaschinerie aufgefahren, um die Bedrohung zu bekämpfen, während gleichzeitig ein Wissenschaftler quasi durch Zufall eine Lösung findet. Brad Pitts Rolle wirkt wie die postmoderne Version der frühneuzeitlichen Policey und ihrer sozialen Gesundheitsüberwachung. Der Film kam 2013 in die Kinos, als die sich im Anschluss an den Arabischen Frühling transnational ausbreitenden sozialen Bewegungen ihren Höhepunkt erreicht hatten. Die nicht enden wollenden Maschinengewehrsalven auf infizierte, sich gegen den Status quo stellende Menschenmassen ließen sich auch als autoritäre Projektion ordnungspolitischer Reaktionen auf drohende Aufstände lesen. Die Pandemie und ihre Bekämpfung sind - wie immer in der Science-Fiction - auch als Analogie auf bestehende soziale und gesellschaftspolitische Debatten und Ereignisse zu sehen.

In der Literatur gibt es natürlich weitaus differenziertere Bearbeitungen. Auch in Colson Whiteheads Roman »Zone One« (2011), mitten im Boom der Pandemie-Erzählungen, geht es um ein Virus, das weite Teile der Bevölkerung in Zombies verwandelt. Whitehead fängt vor allem die psychologischen Folgen des damit verbundenen gesellschaftlichen Wandels ein, aber auch politische Implikationen: »Die Seuche ließ keinen unberührt, mit oder ohne Blutkontakt. Die heimlichen Mörder, schlafenden Vergewaltiger und latenten Faschisten konnten ihr skrupelloses Wesen nun ungehemmt ausleben.« Whitehead beschreibt ebenfalls die militarisierte und autoritäre staatliche Ordnung nach dem zivilisatorischen Zusammenbruch. Die infizierten, mit gekrümmtem Rücken herumstreunenden Zombies erinnern ihn an die Normalbürger aus der Zeit vor der Pandemie: »Ihre Gesichter erkannte er nicht, nur jene schlappe Krümmung der Schultern, das Kennzeichen der immer wiederkehrenden Epidemie des Sonntagabends: Zurück an die Arbeit.« Womit Whitehead die Zombies wieder als die lebenden Toten der Konsumwelt oder des Kapitalverhältnisses definiert, wie das auch schon der als Erfinder dieses Phantastik-Subgenres geltende George Romero 1968 im Zombieklassiker »Night of the Living Dead« machte. Aber auch bei aller Kritikfähigkeit ist die Pandemie in diesen Narrativen das Ende jeglicher Zivilisation.

Eine etwas weniger spektakuläre und dadurch realistischere Umsetzung der Pandemienarration findet sich in Louise Welshs Roman »V5N6« aus dem Jahr 2014. Leider wurden der zweite und dritte Teil dieser Pandemie-Trilogie der 1965 geborenen schottischen Autorin nie ins Deutsche übersetzt. Erzählt werden Ereignisse während einer Influenzapandemie, die London und auch andere Teile der Erde heimsucht. Nur langsam realisiert die Hauptfigur, eine Moderatorin eines Shoppingkanals, die einige Tage mit schwerer Grippe im Bett verbringt, dass sich etwas verändert hat: Immer mehr Menschen werden krank, ohne, dass sie, wie in »Contagion«, unmittelbar nach einer Infizierung auch schon das Zeitliche segnen. Nichtsdestotrotz säumen auch hier bald Tote die Straßen - Welshs Augenmerk liegt aber vor allem auf Panik, Egoismus und Gewaltbereitschaft der Großstadtbewohner. Sie schreibt über den autoritären Charakter des Ausnahmezustands, der von vielen bereitwillig mitgetragen und von Bürgerwehren handfest umgesetzt wird. Das ist zwar ebenso spektakulär inszeniert, spürt aber auch dem Alltag in einer derartigen Ausnahmesituation nach. Der zweite Teil der Trilogie ist im Strafvollzug angesiedelt und stellt die Frage, wie sich eine Pandemie dort auswirkt - ein Thema, das derzeit durchaus Aktualität besitzt. Teil drei erzählt vom postapokalyptischen gesellschaftlichen Reorganisierungsversuch.

Auch in der aktuellen Science-Fiction-Literatur sind Pandemien präsent, stehen aber nicht mehr direkt im Vordergrund. Sowohl in William Gibsons Roman »Peripherie« (2014) als auch in Tom Hillenbrands »Qube« (2020) ist die Erdbevölkerung durch Seuchen stark reduziert. Die Geschichten dieser Epidemien, also ihr unmittelbarer Verlauf, wird dabei gar nicht mehr erzählt, sondern dient quasi als Vorgeschichte. Im Vordergrund beider Romane stehen digitale Technologien und deren Möglichkeiten - auch was sie können, wenn menschliche Arbeitskraft plötzlich zur Mangelware wird.

Pandemien haben eben ihre Konjunkturen und gesellschaftspolitischen Kontexte, in denen sie kulturindustriell bearbeitet werden. Dass es nun zwangsläufig wieder eine Konjunktur für Pandemieerzählungen in Film und Literatur geben wird, ist klar. Die nächsten Jahre werden wir eine ganze Flut an Filmen und Büchern zur Coronakrise bekommen. Und wahrscheinlich wird der Stoff nach den realen Erfahrungen mit dem Virus dann vergleichsweise realistischer umgesetzt werden.

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