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Kontaktverbote in Familien
Kinder in Wohngruppen dürfen teils ihre Eltern nicht mehr treffen - juristisch ist das strittig
Julia Theis* war in einer schwierigen Lebenssituation, als ihr heute siebenjähriger Sohn Leon* in eine Berliner Kinderwohngruppe kam. Die beiden sollten sich aber langsam wieder an das gemeinsame Wohnen gewöhnen. Vor der Coronakrise lebte Leon deshalb donnerstags bis sonntags bei ihr, während er die restlichen Wochentage in der Einrichtung verbrachte. »Leon ist in einer besonderen Wohngruppe. Dort gibt ganz viel Kontakt mit den Eltern. Ich besuche ihn und tageweise ist er komplett bei mir«, sagt Julia Theis.
Jetzt darf sie ihren Sohn aber bereits seit über einem Monat gar nicht mehr treffen. Und solange in Berlin die Kontaktbeschränkungen bestehen, wird sich daran voraussichtlich nichts ändern.
»Natürlich vermissen wir uns, es ist schon eine sehr schwere Zeit,« sagt die 33-Jährige. Zwar gebe es dreimal wöchentlich eine feste Telefonzeit, die würde Leon allerdings kaum nutzen: »Eigentlich sollen wir warten, dass die Kinder sich melden, aber ich rufe trotzdem manchmal selber an um nachzufragen, wie es ihm geht.« Er sei in der Einrichtung zum Glück gut abgelenkt. Kindern, die erst seit kurzem von ihren Eltern getrennt leben, falle das Kontaktverbot deutlich schwerer.
Familien zu stabilisieren und wieder zusammenzuführen, ist laut Sozialgesetzbuch ein wichtiger Auftrag von solchen Einrichtungen. Wenn diese Elternarbeit wegfällt, können die ohnehin oftmals schwierigen familiären Beziehungen darunter leiden. Vor allem jüngere Kinder sind zudem entwicklungsbedingt meist noch nicht in der Lage, die Situation zu verstehen.
»Grundsätzlich ist das Umgangsrecht der Eltern von den Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie nicht berührt«, sagt eine Sprecherin des Deutschen Kinderschutzbundes dem »nd«. Es müsse jedoch sichergestellt sein, dass der Umgang sowohl personell als auch unter Beachtung der Hygieneregeln geleistet werden kann.
Durch das Homeschooling sind die Mitarbeitenden in Kinderwohngruppen stärker als sonst belastet. Manche entscheiden sich womöglich auch wegen der fehlenden Kapazität für ein Besuchsverbot der Eltern.
Laut dem Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) ist der Umgang mit dem Coronavirus in den jeweiligen Einrichtungen eine Entscheidung vor Ort beziehungsweise der jeweiligen Kommune oder des Bezirks. Treffen zwischen Kindern und ihren Eltern gehöre laut dem Institut aber zu dem »absolut nötigen Kontaktminimum«. Ob Einrichtungen oder Bezirke ohne nachvollziehbaren Grund den Umgang verbieten dürfen, ist daher strittig. Nachvollziehbar könne ein Kontaktverbot nach dem DIJuF etwa dann sein, wenn in einer Einrichtung Corona-Risikopatienten leben.
Die Besuchsverbote und Ausgangssperren, die viele Bundesländer für Altersheime erlassen haben, ließen sich jedoch nicht auf Kinderwohneinrichtungen übertragen. Schließlich gehe es bei ersteren um eine Risikogruppe. Jeder Grundrechtseingriff müsse darüber hinaus immer verhältnismäßig sein. Ein allgemeines Kontaktverbot von Eltern und Kindern verstoße laut DIJuF außerdem gegen die Fürsorgepflichten.
Zu einem ähnlichen Schluss kam am 17. April auch das Verwaltungsgericht Hamburg in einem Eilverfahren: Es räumte einer Mutter das Recht ein, ihre Kinder im Kinderheim trotz behördlichen Verbots zu besuchen. Nach der Entscheidung des Gerichts verstößt das Verbot, die eigenen Kinder persönlich zu besuchen, gegen die Grundrechte der Eltern, »indem es zu einem kompletten Kontaktabbruch (...) führt, ohne dabei etwa nach dem Alter der Kinder, der Qualität der bisherigen Eltern-Kind-Beziehung, der Häufigkeit der bisherigen Umgangskontakte oder sonstigen Aspekten zu differenzieren«.
Obwohl Julia Theis die Beschränkungen und Verordnungen zur Corona-Eindämmung sonst sinnvoll findet, versteht sie das Kontaktverbot zu ihrem Sohn nicht. »Man kann sich doch auch draußen mit Abstand oder mit Mundschutz treffen. Es ist schließlich sehr wichtig, dass ich mein Kind weiterhin sehen kann«, findet Julia Theis.
* Die Namen sind auf Wunsch der Betroffenen geändert worden.
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