Stärkt die Heimwerker-Medizin!

Leo Fischer erklärt, wie ein Corona-Ausbruch mit etwas Geschick zu Hause beherrschbar wird

Vielleicht war es ein wenig missverständlich ausgedrückt, vielleicht war es auch der Überschwang der Einfälle: In jedem Fall markiert die Pressekonferenz, auf der Trump vorschlug, gegen Corona Injektionen mit Desinfektionsmittel zu verabreichen, einen wichtigen Scheitelpunkt in der Debatte - wobei, kann man angesichts des Frisureninfernos da draußen noch guten Gewissens von Scheitelpunkten reden? Vielleicht markiert die Pressekonferenz vielmehr einen Wuschelpunkt, den Punkt in einer Debatte, in der der Übergang von geordneten Frisuren zu einem sympathischen Haardurcheinander erreicht ist, für das Trumps Haarschopf vielleicht sogar emblematisch - stopp, noch mal von vorn.

Jedenfalls in der deutschen Behandlung der Corona-Pandemie lassen sich fünf Phasen abzirkeln. Komplette Gleichgültigkeit, Panik, wieder Gleichgültigkeit, gemütliches Brunchen mit den zwanzig liebsten Familienmitgliedern an Ostern, dann wieder Panik und schließlich Zustände, in denen mittlerweile über 5000 Tote als »beherrschbar« (Jens Spahn) angesehen werden, womit Spahn wohl meint, dass ihm zumindest Tote nicht weiter widersprechen können.

Als vorerst letzte und siebte Evolutionsstufe tritt die Heimwerker-Medizin auf den Plan, denn einerseits wähnt man sich sehr gut versorgt, andererseits gibt es trotzdem nirgendwo Mundschutze zu kaufen. Weil sie trotz ihrer Abwesenheit jedoch bald verpflichtend sind, werden sie nun genäht, gehäkelt und aus Altkleidern herausgeschnitten, wohl auch aus Toilettenpapier gefaltet. Nachdem schon die seuchenhygienische Unterrichtung der Bevölkerung durch Podcasts und damit sozusagen im Heimstudium erfolgte, ist die logische Fortsetzung, da hat Trump ganz recht, die Behandlung zu Hause.

Aus einem alten Löffel, etwas Alufolie und zwei Tropfen Quecksilber lässt sich mühelos ein Fieberthermometer improvisieren. Mit Tapeten und Paketklebeband können findige Heimmediziner in der Wohnung »Quarantänezonen« abzirkeln, in denen Verdachtsfälle sicher kaserniert werden können. Staubsaugerschläuche, ein Fön und ein großzügiger Wackelkontakt dürften, intelligent kombiniert, eine Beatmungsmaschine vollständig ersetzen, jedenfalls für fünf Minuten. Schließlich lässt sich in jedem Haushalt auch ein ehrenwerter, aber auch schon etwas wirrer Greis finden, der als »Pathologe« in der Manier des Hamburger Rechtsmediziners Püschel großzügig »Gutachten« ausstellt und verkündet, eventuelle Todesfälle in der Familie hätten sowieso irgendwann mal stattfinden müssen.

In dieser Art Familienaufstellung fällt es dann auch nicht mehr so schwer, gelangweilte Kinder und Jugendliche zu beschäftigen: Sie können dann entweder einen »Gesundheitsminister« spielen, der sich im Amt eigentlich nur für künftige Lobbyaufgaben qualifizieren wollte und nun eine Menschheitskrise meistern muss; »Liberale«, die beim Anblick von Schutzmasken »Mittelalter« schreien; oder kecke »Springer-Journalisten« mimen, die in Sprechchören abwechselnd »Lockerungen, Lockerungen« und »zweite Welle, zweite Welle« intonieren. Wenn es den Erziehungsberechtigten zu bunt wird, dürfen sie der Brut dann »Bußgelder« verordnen, mit großzügigen Ausnahmeregelungen für Dresdner Nazidemos - die kommen ja schließlich auch in den besten Familien vor!

Schon jetzt beobachten Klinikchefs, dass deutlich weniger Menschen mit Verdacht auf Herz- oder Schlaganfall in die Kliniken kommen. Das weist darauf hin, dass viele Menschen sich bereits jetzt erfolgreich selbst behandeln, sich gegenseitig auf Wartelisten setzen und einander in »Sprechzimmern« versichern, dass »Deutschland« insgesamt »und im Vergleich« doch »einen guten Job« mache. Denn gestorben wird jetzt wieder zu Hause!

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