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Umweltbewegungen wie »Fridays for Future« müssen in Zeiten der Pandemie neue Wege finden, um auf sich aufmerksam zu machen.
Knapp 20 Grad, wolkenloser Himmel: Das Wetter wäre ideal für eine Demonstration. Doch statt Menschenmassen stehen nur ein paar Personen hinter dem Reichstag und moderieren den ersten digitalen Klimastreik von »Fridays for Future«. Es gibt technische Schwierigkeiten. »Dieser Stream läuft immer noch besser als die Klimapolitik der GroKo«, steht statt der Live-Übertragung auf den Bildschirmen. Über 19 000 Zuschauer*innen verfolgen die Demo auf Youtube, knapp 12 000 bleiben bis zum Ende dabei. Am ersten »Livestream for Future« beteiligen sich auch Organisationen wie der Naturschutzbund Deutschland (NABU), WWF oder Greenpeace. Zu bestreiken gibt es auch während der Pandemie genug: Durch die anhaltende Trockenheit in Europa brennen bereits die ersten Wälder, und trotz beschlossenem Kohleausstieg soll dieses Jahr das neue Steinkohlekraftwerk Datteln 4 ans Netz gehen.
Krisen sind keine Klimaretter
Der Online-Streik ist die erste große Aktion von »Fridays for Future« seit Beginn der Pandemie. Aktivist*innen mobilisieren derzeit unter erschwerten Bedingungen: In Massen auf die Straße gehen ist nicht möglich, und auch das Druckmittel des wöchentlichen Schulstreiks erübrigt sich, wenn die Klassenräume leer bleiben. Hinzu kommt, dass manche Auswirkungen der Coronakrise klingen wie von Klimaschützer*innen erträumt: Das Flugverkehrsaufkommen hat sich Anfang April im Vergleich zum Vorjahr um 85 Prozent reduziert, und die zurückgefahrene Industrie verbraucht deutlich weniger Strom. So kam es, dass das Umweltministerium und das Bundesumweltamt Mitte März verkündeten, das eigentlich schon abgeschriebene Klimaziel 2020 könnte doch noch erreicht werden: 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als 1990. Währenddessen verbreiten sich online Fotos von Delfinen, die in Venedigs Kanäle zurückgekehrt sind, Satellitenbilder zeigen eine enorme Verbesserung der Luftqualität über China und den USA.
Kurzfristige Rückgänge von Schadstoffemissionen sind keine Neuheit. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008 sank in Deutschland der Ausstoß von Treibhausgasen auf den niedrigsten Wert seit 1990. Auf diese Art gelang es der Regierung, seine im Kyoto-Protokoll festgehaltenen Klimaziele zu erreichen. In anderen Ländern wie den USA waren die Einsparungen aber marginal. Langfristig führte die Finanzkrise mit ihren verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen eher dazu, dass nachhaltige Klimapolitik an Relevanz verlor.
Auch »Fridays for Future« sehen die derzeitigen Entwicklungen skeptisch: »Sie sind kurzfristig und stehen nicht für eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft«, so Sprecherin Carla Reemtsma. Umso wichtiger sei es, die Rückkehr zum Wirtschaften wie vor der Pandemie zu verhindern. Die Aktivist*innen wollen deshalb die Konjunkturpakete der Bundesregierung näher in den Blick nehmen: »Große Unternehmen dürfen nicht bedingungslos unterstützt werden, sondern müssen der Gesellschaft etwas zurückgeben.«
Ganz ohne Körper geht es nicht
Programmatisch ändert sich bei der Organisation also wenig. Auch sollen nicht alle ihre Aktionen ins Digitale verlegt werden. Vor dem »Livestream for Future« konnten Teilnehmer*innen unter anderem in Berlin oder Hamburg Protestschilder abgeben. Diese wurden - unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen - von den Organisator*innen eingesammelt und vor zentralen Orten abgelegt. Trotz des Kontaktverbots soll der Protest so sichtbar bleiben. Nach Angaben von »Fridays for Future« wurden allein in Berlin knapp 10 000 Schilder abgegeben. »Fischers Fritz fischt frisches Plastik« steht darauf, oder »Liebe Grüne, werdet rot und besinnt euch auf eure Wurzeln!« Am Ende des Streams ist die Wiese vor dem Reichstag voll mit den Botschaften.
Für andere Umweltbewegungen ist der Protest jenseits des Internets noch wichtiger. Anders als »Fridays for Future« setzt etwa »Ende Gelände« nicht auf tagespolitische Aushandlungen, sondern auf zivilen Ungehorsam. Die Aktivist*innen besetzen sonst Braunkohlereviere und müssen jetzt umdisponieren: »Unser Protest ist wahnsinnig körperlich«, sagt Sprecherin Ronja Weil. Sie sieht in der Diskussion um die Systemrelevanz bestimmter Berufen aber auch eine Chance, dass das Gerechtigkeitsbewusstsein in der Gesellschaft allgemein größer wird.
Unter dem Motto »fighteverycrisis« machen auch »Fridays for Future« deutlich, dass der Klimawandel nicht ihr einziges Anliegen ist: Fernseharzt Eckart von Hirschhausen betont die zentrale Rolle eines gut aufgestellten Gesundheitssystems und Erik Marquardt, Europa-Abgeordneter für die Grünen, berichtet von der humanitären Katastrophe im Flüchtlingslager auf Lesbos.
Mit Musik, Gedichten und Live-Schalten stellten »Fridays for Future« eine abwechslungsreiche Demo auf. Die begeisterten Kommentare auf Youtube zumindest deuten an: Für den inneren Zusammenhalt der Bewegung war der Livestream genau richtig.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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