Hilfe auf den Weg gebracht

Kommunistisch regierte Pariser Arbeitervorstadt Ivry-sur-Seine engagiert sich mit einer Lebensmittelnothilfe für die Ärmsten der Armen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie an vielen Orten Frankreichs war auch in Ivry-sur-Seine durch die Coronakrise die Notversorgung mit Lebensmitteln zusammengebrochen. Die Hilfsvereine hatten Schwierigkeiten, weiter die Supermärkte anzufahren und Produkte einzusammeln, die sich dem Verfallsdatum nähern und daher steuersparend gespendet werden. Durch das Ausgehverbot fehlten Helfer. Die Restaurants, wo sie nicht verbrauchte Lebensmittel abholen konnten, mussten schließen.

Noch problematischer war es, die vorhandenen Lebensmittel zu verteilen. Wegen der Anordnung, mindestens einen Meter Abstand zu anderen Menschen zu halten, scheuten viele davor zurück, sich an den Ausgabestellen der Hilfsvereine anzustellen. Dies umso mehr, als fast niemand eine Atemschutzmaske besaß. Bisher waren diese dem medizinischen Personal vorbehalten, erst seit Montag dieser Woche werden sie auch an andere Bürger verkauft.

»Als ich Präsident Macrons Ankündigung des Ausgehverbots gehört habe, war mir sofort die Brisanz für die Ärmsten in unserer Stadt klar«, sagt Philippe Bouyssou, der kommunistische Bürgermeister der Pariser Arbeitervorstadt. Mit ihren 60 000 Einwohnern ist sie eine der wenigen größeren Städte, die vom einst mächtigen »Roten Gürtel« um Paris übriggeblieben ist. Hier leben 28 Prozent der Einwohner unter der Armutsgrenze. Durch das Ausgangsverbot schlossen viele Unternehmen und ihre Mitarbeiter bekommen Teilarbeitslosengeld in Höhe von 70 Prozent des bisherigen Lohns. Noch schwerer ist es für die vielen Menschen, die sonst von Gelegenheitsjobs leben und jetzt auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Auch in Ivry schnellte die Zahl derer, die Anspruch auf Lebensmittelhilfe haben, in die Höhe. Waren es bisher im Jahresdurchschnitt 450 Familien, so kamen in der ersten Woche des Ausgehverbots 70 hinzu, in der zweiten 80 und seitdem weitere 150. Zudem musste die Stadt 150 Obdachlose mitversorgen, die für die Zeit der Coronakrise von den Behörden in Hotels untergebracht wurden. Durch die neue Situation waren die Hilfsvereine überfordert, selbst so erfahrene wie die 1945 durch die KP ins Leben gerufene Organisation Secour populaire oder das 1974 durch den Komiker Coluche gegründete Netzwerk Restos du Coeur.

Die Stadtverwaltung sprang ihnen zur Seite mit Fahrzeugen, Gebäuden und Mitarbeitern. Gemeinsam wurden in der Nähe der Sozialwohnviertel neue Ausgabepunkte geschaffen. Dort kann man durchs Fenster ein schon vorbereitetes Lebensmittelpaket in Empfang nehmen, ohne sich anstellen zu müssen. Vor allem ältere Leute, die ja zur Corona-Risikogruppe gehören, können sich das Paket auch bis an die Wohnungstür liefern lassen. Mit Plakaten hat die Stadtverwaltung über diese Möglichkeiten informiert und die dafür benötigten Helfer gesucht. Inzwischen sind es 150. Ihnen stellt die Stadtverwaltung Ausnahmegenehmigungen zum Verlassen der Wohnung aus.

Zu diesen Helfern gehört der 40-jährige Axel, Arbeiter und Vater von drei Kindern, der in Ivry geboren ist und immer hier gelebt hat. »Solidarität ist in unserer Stadt selbstverständlicher als anderswo, das haben viele hier regelrecht im Blut.« Darauf ist auch Bürgermeister Bouyssou stolz. »Die achtwöchige Zwangspause und die riesigen Ausgaben für die Überwindung der Epidemie haben die Wirtschaft um viele Jahre zurückgeworfen.« Dadurch würden sich die Arbeitslosigkeit und das soziale Gefälle noch drastisch verschlimmern. »Entsprechend werden wir auch weiter auf die Solidarität der Bürger angewiesen sein.«

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