Sicherung von Einfluss
Gipfel der EU mit den Westbalkan-Staaten sagt Milliardenhilfen wegen Corona zu
Die kroatische Hauptstadt Zagreb war als Ort des Westbalkangipfels der Europäischen Union vorgesehen. Aufgrund der Corona-Pandemie fand das Treffen der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch nun im virtuellen Raum statt, per Videokonferenz. Im Mittelpunkt des von EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geleiteten Gipfels standen finanzielle Hilfen, die Brüssel den sechs Balkanländern zur Bekämpfung von Covid-19 bereitstellt: Insgesamt 3,3 Milliarden Euro sollen an Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Albanien, Nordmazedonien, Serbien sowie dessen seit 2008 abgespaltene Provinz Kosovo fließen.
Die EU-Erweiterung war, wie bereits vor dem Gipfel von Brüssel angekündigt, diesmal kein Thema. Beschwichtigend wurde betont, dass der Erweiterungsprozess keineswegs gestoppt sei. Vor allem mit diesem Zuckerstückchen hat die EU die Länder Südosteuropas bisher an sich gebunden. Am Mittwoch stand die »konkrete Realisierung von Zielen bei der Bekämpfung von Covid-19« auf der Agenda. Laut EU-Offiziellen soll so die Verbindung von Europäischer Union und Westbalkan »materialisiert« und für die Menschen vor Ort erfahrbar werden. Man sei sich in Brüssel bewusst, dass die Staaten durch die Folgen der Pandemie sozioökonomisch schwer getroffen würden. Es gehe nun zuallererst darum, die aktuelle Krise zu bewältigen.
Vor allem die Bundesrepublik fördert die enge Anbindung des Westbalkans an die von ihr dominierte EU und drängt auf eine baldige Aufnahme der Länder. Berlin betrachtet die Region geopolitisch als Hinterhof. Doch Frankreich und die Niederlande, die von einer solchen Erweiterung weniger profitieren würden, verwehren sich seit dem vergangenen Oktober gegen ein allzu schnelles Tempo. Erst im März konnten so offiziell Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien beginnen, nachdem die Methodologie zur Aufnahme neuer Mitglieder geändert worden war. Erste Beitrittskandidaten, das aber bereits seit etlichen Jahren, sind Serbien und Montenegro. Immer wieder wurde ihnen versprochen, bis spätestens 2025 Teil der EU zu sein - ob dies eingehalten werden kann, war bereits vor der Coronakrise fraglich. Als potenzielle Beitrittskandidaten werden Bosnien-Herzegowina und Kosovo von Brüssel geführt.
Neben der Coronakrise behandelte der Gipfel noch zwei weitere Themen: die »europäische Perspektive« sowie die »Reformagenda« der Westbalkanstaaten. Brüssel sieht für sie die EU alternativlos als »Nummer 1«. Diese Position soll auch die von China und Russland während der neuartigen Epidemie bereitgestellte Hilfe nicht erschüttern. Der Beitrittsprozess dient dazu, die jeweiligen Gesellschaften und staatlichen Institutionen an neoliberale EU-Vorgaben anzupassen und sie so für den von westeuropäischen Konzernen kontrollierten Markt zurechtzustutzen.
Dabei sieht sich die EU noch mit einem weiteren Konkurrenten konfrontiert: Auch die USA wollen ihren Einfluss in der Region weiter ausbauen. Ohne sich mit der EU abzustimmen, drängt Washington auf eine schnelle Beilegung des Konflikts zwischen Serbien und Kosovo abseits des von Brüssel vorgegebenen Dialogs. Den innerwestlichen Konflikt demonstrierte jüngst auch das erfolgreich von den USA lancierte Misstrauensvotum des kosovarischen Parlaments gegen den EU-freundlichen Premierminister Albin Kurti.
Das Thema Kosovo bleibt auch innerhalb der Europäischen Union umstritten. Fünf Mitglieder, darunter Spanien, erkennen die Eigenstaatlichkeit der früheren serbischen Provinz nicht an. Noch am vorherigen Gipfel vor zwei Jahren in Bulgariens Hauptstadt Sofia hatte Madrid deshalb nicht teilgenommen. Bei der Videoschalte vom Mittwoch saßen die sechs Staatschefs der Balkanländer vor einem neutralen Hintergrund - nationalstaatliche Symbole sollten auf den Bildschirmen nicht zu sehen sein.
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