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  • Geflüchtete auf dem Mittelmeer

Fünf Jahre unermüdlich retten

Vor fünf Jahren gründete sich SOS Méditerranée, andere Hilfsorganisationen folgten. Sie retten weiter und lassen sich nicht aufhalten.

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 9. Mai 2015 gründet sich »SOS Méditerranée«. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) will Geflüchtete retten, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten sind. Auch »Sea-Watch«, »Jugend Rettet« und »Sea-Eye« entstehen 2015. Im Jahr darauf schicken die Hilfsorganisationen ihre ersten Schiffe auf Rettungsmissionen. Rund um die Helfenden ist seitdem viel passiert.

Vor acht Jahren tauchen Bilder von vielen Menschen in einem kleinen Schlauchboot immer häufiger in den Nachrichten auf. Artikel beschreiben ausführlich das Kentern der Boote. Zahlen werden gewälzt: Wieviele sterben, wieviele überleben auf der Fahrt über das Mittelmeer in die EU. 2015 flüchten sich besonders viele Menschen nach Europa. Die Route über Osteuropa machen dortige Regierungen dicht, also muss es wieder über das Meer gehen.

Das gefährliche Mittelmeer steht für Risiko, Tod. Dabei ist nicht das Gewässer das Gefährliche, sondern die Umstände, unter denen Menschen es überqueren müssen. Freiwillige geben ihre Jobs auf, um Menschen auf diesem Mittelmeer zu retten. Sammeln Gelder, um Schiffe zu chartern. Ein Boot zu betreiben, die Ausrüstung, das kostet viel Geld. Vor allem Privatpersonen spenden.

Gleichzeitig nimmt Deutschland viele Menschen auf, gar nicht so gerne und viele werden wieder abgeschoben, aber das steht dann nicht in den Zeitungen. Einige Monate später brennen Unterkünfte. Die Älteren reden von Rostock-Lichtenhagen, den Jüngeren sagt das nichts mehr, es ist zu sehr in Vergessenheit geraten.

Gewöhnung an Grausamkeiten

2016, 2017, die Europäer*innen gewöhnen sich bald an übervolle Boote mit schwarzen Personen auf blauem Wasser. An die Todeszahlen, die erst steigen, dann sinken, jedoch nicht prozentual. Denn in Wirklichkeit schaffen es weniger Menschen bis aufs Mittelmeer wegen der erstarkten libyschen Küstenwache. Von denen, die es in die Boote schaffen, müssen mehr sterben, als zuvor. Das Retten auf dem Meer ist traumatisierend für die Helfer*innen. Nicht nur die Geretteten brauchen Unterstützung, auch die NGO-Mitarbeiter*innen. Ärzt*innen und Psycholog*innen unterstützen »Sea-Eye«, »Sea-Watch«, »SOS Méditerranée« und »Mission Lifeline«.

Mit mehr Erfahrung und einem sich abschottenden Europa professionalisieren sich die NGOs. Sie nehmen Journalist*innen mit an Bord, die berichten sollen. Sie suchen sich Pressesprecher*innen, verbreiten Fotos über soziale Medien, fordern die Einhaltung von Menschenrechten.

Sie retten weiter

2017, 2018, 2019, die Helfer*innen auf dem Meer werden mehr. Dann weniger, als es immer schwieriger wird, zu helfen, ohne kriminalisiert zu werden. Die EU-Regierungen sind genervt von den Helfenden, weil sie einfach nicht aufhören wollen mit dem Dasein, auf dem Meer unterwegs sein. Einzelne von ihnen werden bekannt, weil sie angeklagt werden für ihr Engagement. Pia Klemp, Sarah Mardini, Claus-Peter Reisch, Carola Rackete. Und dann werden sie auch noch in Fernsehshows eingeladen, erzählen dem bürgerlichen TV-Publikum, was da eigentlich abgeht, auf dem Gewässer zwischen Libyen, Italien, Malta, Griechenland. Denn die Berichterstattung beginnt meist bei der Ankunft in Europa. Die Bilder der Schlauchboote sind geblieben über die Jahre, die Bilder aus Libyen schaffen es kaum in die Nachrichten.

Zur selben Zeit führen die Behörden Italiens und Maltas immer strengere Vorschriften ein, was ein Schiff zu erfüllen habe. Boote mit Geretteten an Bord dürfen nicht anlegen, müssen tagelang auf See ausharren. Aber die NGOs retten weiter. Die EU-Staaten fühlen sich immer noch nicht zuständig. Die Verantwortlichkeit schieben sie weiter, auf die EU, die sie ja selbst sind, auf die Geflüchteten, auf die NGOs, die Schmuggler. Einzelne Städte appellieren an Innenminister Seehofer, dass sie bereit seien, Menschen aufzunehmen, Seebrücke, sichere Häfen, Demonstrationen. Es passiert nichts.

2020, »Mission Lifeline«-Kapitän Claus-Peter Reisch wird auf Malta freigesprochen. Er war wegen seines Engagements angeklagt worden. Wieder einmal gelingt es Behörden nicht, Seenotretter bis zu einer gerichtlichen Verurteilung zu kriminalisieren.

Anfang März erreicht ein Schlauchboot den Hafen von Thermi auf Lesbos. Einige Frauen in dem Boot haben aufgeblasene Autoreifen um sich, als Ersatz für Rettungswesten. Am Ufer stehen Bewohner*innen, schreien, dass sie abhauen sollen. Das Boot dümpelt umher, keiner zieht es an Land. Sie sitzen da, sind ganz still, schauen kaum zum Hafen auf die keifende Gruppe. Dann kommen Helfende und reichen Wasserflaschen ins Boot. »Leave no one behind« ist das aktuelle Motto, wegen Camp Moria, wegen Corona obendrauf auf die katastrophale Lage.

Die NGOs sind da, machen weiter. Halten sich an strenge Vorschriften der Behörden, fahren raus, sehen Schreckliches. Retten Tausende. Schaffen Aufmerksamkeit. Zu fünf Jahren Bestehen kann man ihnen zwar gratulieren, weil sie sich nicht aufhalten lassen. Aber andererseits sollte ihre Arbeit überflüssig werden, wenn Menschen endlich nicht mehr den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen müssen, um Europa zu erreichen.

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