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Zwangsouting durch Corona

Die Schwulen-Szene in Seoul steht im Fokus einer neuen Coronawelle. Homosexuelle müssen sich dort nun doppelt fürchten: vor dem Virus und vor Diskriminierung

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

»Homo Hill« wird der leichte Anstieg im Ausländerviertel Itaewon genannt, auf dem wohl weltweit einmalig drei Subkulturen auf einer handvoll Seitengassen aufeinandertreffen: Am südlichen Ende hat sich zwischen Halal-Restaurants und der größten Moschee der koreanischen Hauptstadt die muslimische Diaspora niedergelassen. Ein Steinwurf entfernt locken Sexarbeiter*innen vor simplen Verschlägen nach Kundschaft. Und dazwischen wird ein Straßenzug von Schwulen- und Trans*bars gesäumt; ein Ort der Freiheit, an dem die strengen Zwänge der konfuzianischen Gesellschaft weit entfernt scheinen.

Seit Freitag jedoch sind die Clubs »King«, »Queen« und »Trunk« weiträumig abgesperrt. Der »Homo Hill« ist zum Symbol dafür geworden, wie ein unachtsamer Virus-Fall die bis dato geglückte Virusbekämpfung ins Schwanken bringen kann. Die Angst vor einer Infizierung breitet sich wieder aus und für viele Homosexuelle kommt eine zweite Angst hinzu: Die vor Stigmatisierung und Hetze. »Jeder, den ich kenne, hat regelrechte Panik«, sagt der queere Künstler Heezy Yang aus Seoul: »Wir wissen, welche Folgen die HIV-Epidemie in unserer Community hatte. Und auch während MERS haben christliche Gruppen versucht, Stimmung gegen Homosexuelle zu machen«. Das MERS Virus tauchte erstmalig 2012 auf. Es stammt aus der Familie der Coronaviren und äußert sich unter anderem in einer schweren Infektion der Atemwege.

Was geschehen ist: Ein 29-jähriger Mann hat die Freitagnacht vor einer Woche im berüchtigten Ausgehviertel Itaewon durchgefeiert. Am Donnerstag wurde er positiv auf Covid-19 getestet. Am folgenden Morgen hat das koreanische Zentrum zur Seuchenprävention bestätigt, dass 14 weitere Kontakte von dem jungen Koreaner infiziert wurden, darunter auch ein Oberfeldwebel der Armee. Laut Regierungsangaben muss sich die Öffentlichkeit darauf einstellen, dass viele weitere Infizierte folgen könnten. Schließlich hat der junge Mann insgesamt fünf Clubs und Bars aufgesucht und potentiell mit 2.000 Menschen Kontakt gehabt. Besonders heikel in der schwulenfeindlichen Gesellschaft Südkoreas: Die Clubs, die von ihm besucht wurden, gehören der Schwulen-Szene an.

Südkorea gilt bislang als Musterschüler bei der Virusbekämpfung. Dank koordiniertem Handeln der Regierung, aggressivem Tracking von Infektionssträngen, mithilfe von Überwachungsdaten sowie einer radikalen Transparenz über Neuansteckungen, hat das Land am Han-Fluss es geschafft, das Virus de facto einzudämmen. Über vier Tage lang gab es keine einzige Infektion mehr, nur noch importierte Fälle aus dem Ausland.

Nun jedoch wird die Hightech-Nation erstmals auf die Probe gestellt, eine zweite Infektionswelle zu verhindern. In einem ersten Schritt sind die Behörden die Namenslisten der betroffenen Lokalitäten durchgegangen, auf denen sich seit dem Virusausbruch jeder Gast mit seiner Telefonnummer eintragen muss. »Es gibt jedoch möglicherweise blinde Flecken, zum Beispiel durch Ausländer oder andere Kunden, die kein Handy in Korea haben. Zudem konnten nicht alle Handynummern wiederhergestellt werden«, heißt es von einem Regierungsbeamten der Seouler Stadtregierung. Die Regierung habe daher, auf der Grundlage von Telekommunkationsdaten, Massen-SMS an alle möglichen Infizierten geschickt, um sie zu Coronavirus-Tests aufzufordern.

Für den LGBT-Aktivisten Heezy Yang stellt dies ein Dilemma dar: Wer sich bei den Behörden meldet, riskiert ein Zwangsouting. Schließlich wird jeder Neuinfizierte von den Behörden veröffentlicht – anonymisiert zwar, doch mit Alter, Nationalität, Wohnbezirk und Bewegungsabläufen während jener Nacht. »Sie können ihre Arbeit, Familie, Freunde, ja selbst ihr Leben verlieren«, befürchtet Yang. Man könne sich glücklich schätzen, wenn sich niemand der Betroffenen das Leben nehme. »Als sich Heterosexuelle infiziert haben, wurden diese dann als ganze Gruppe stigmatisiert?«, fragt er rhetorisch. Im Netz passiere genau das für die LGBT-Community.

Südkorea ist nach wie vor eine schwulenfeindliche Gesellschaft. Sexuelle Minderheiten werden nicht durch ein Anti-Diskriminierungsgesetz geschützt. Viel Diskriminierung gegen Schwule kommt ausgerechnet von den großen Freikirchen des Landes – jenen Organisationen also, die selbst Opfer von Hassattacken wurden, nachdem sie trotz mehrmaliger Aufforderung des Staates sich weigerten, während der Pandemie Gottesdienste zu pausieren.

Ob sich der Infektionsstrang tatsächlich zu einer flächendeckenden zweiten Welle ausbreiten wird, bleibt abzuwarten. Bei der Bekämpfung setzt Südkorea, das eine Ausgangssperre bislang vermeiden konnte, auch nach wie vor auf Freiwilligkeit: Statt alle Clubs und Bars zu schließen hat die Regierung lediglich eine Empfehlung herausgegeben, dies für die nächsten vier Wochen zu tun.

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