Verwirrendes Geld

sieben tage, sieben Nächte über Lockerungsdebatten und Wirtschaftskrisen

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder steht dieser Tage vor einem Rätsel: Er wundere sich, »warum wir seit Ostern eine Lockerungsdebatte nach der anderen bekommen«, also warum die Forderungen nach Aufhebung oder Einschränkung der Anti-Corona-Maßnahmen zunehmen. Diese Forderungen kommen nun vor allem aus »der Wirtschaft«, womit die Eigentümer der Unternehmen gemeint sind. Zwar gibt es »in der Wirtschaft auch noch kleinere Angestellte und Arbeiter, doch sind solche von der neuen Theorie längst fallen gelassen worden«, erkannte Kurt Tucholsky bereits 1931, zum Höhepunkt der damaligen Wirtschaftskrise.

Das Problem der Unternehmen besteht nun darin, dass sie zwar Fabriken, Büros, Maschinen und Arbeitskräfte haben. Aber durch den Lockdown fehlt allerorten Geld. Und ohne Zahlung geben sie nichts heraus, ein Konzern ist ja keine Sozialstation. Für die Käufer bedeutet das: Für Geld ist alles zu haben - aber alles ist auch nur gegen Geld zu haben.

Nun ist das Geld derzeit einerseits da: Das finanzielle Vermögen allein der deutschen Haushalte ist auf 6,8 Billionen Euro gestiegen, die großen Unternehmen hocken auf milliardenschweren Polstern. Andererseits ist das Geld irgendwie weg, weswegen sich jetzt alle an den Staat wenden, damit er es herschafft. Auch mit diesem Phänomen war Tucholsky vertraut: »Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben«, schrieb er. »Das hat mehrere Gründe, die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe, doch können solche durch eine Notverordnung aufgehoben werden.«

Derartige Notverordnungen sind derzeit in fast allen Ländern in Kraft und führen zu neuen Schuldenbergen, die die Staaten aufhäufen, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Begünstigte sind die Eigentümer der Unternehmen. Für Arbeitnehmer ist kein Notprogramm nötig, weil es das schon gibt: Es ist der Sozialstaat, was zeigt, dass abhängig Beschäftigte in einer Art Dauerkrise leben.

Durch die Notprogramme sind auf einmal Mittel gegen die Krise vorhanden. »Woher das Geld kommt, ist unbekannt«, so Tucholsky. »Es ist eben da bzw. nicht da - meist nicht da.« Und wenn es plötzlich da ist, kommt dann doch die Frage auf, woher es denn kommt - eine Frage, die nie gestellt wird, wenn es heißt, dass die Vermögen der Reichen um x Prozent gestiegen sind.

In der aktuellen Krise lässt sich die Frage nach der Herkunft des Geldes beantworten: Der Staat leiht es sich zum Großteil von den Wohlhabenden. Den Rest stellt er durch seine Zentralbank selbst her. Ein riskantes Unternehmen. Über den Zeitpunkt, zu dem das nicht mehr gut geht, schreibt Tucholsky: »Solche Pleite erkennt man daran, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben.« Stephan Kaufmann

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -