- Wirtschaft und Umwelt
- Coronakrise
Corona-Alarm in Schlachthöfen
Behörden kündigen nach Infektionen Massentests auf Covid-19 an
Nach Hunderten Fällen in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind auch in Niedersachsen am Montag erste Verdachtsfälle auf Covid-19 in Schlachthöfen aufgetreten. Im Emsland haben sich drei Arbeiter eines Schlachthofes mit dem Coronavirus infiziert. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hatte zuvor gewarnt, ein Ausbruch sei auch hier »nur noch eine Frage der Zeit«.
Nach Stand vom Montagnachmittag wurde in Nordrhein-Westfalen ein betroffener Schlachtbetrieb in Coesfeld vorerst geschlossen. Am Wochenende wurden mehr als 900 der 1200 Beschäftigten des Betriebs der Firma Westfleisch in Coesfeld getestet. Die Zahl der positiven Tests stieg nach Angaben des Landkreises auf mehr als 180. Das Bundesland will zukünftig Beschäftigte aller Schlachtbetriebe testen. Ähnliches ist auch in Schleswig-Holstein geplant. Dort musste ein Schlachthof in Bad Bramstedt seine Produktion einstellen, eine dazugehörige Unterkunft steht unter Quarantäne. In Niedersachsen sollte im Laufe des Tages geklärt werden, ob vermehrt getestet werden soll.
Die NGG ist überzeugt, dass besonders die Unterbringung für die Verbreitung des Virus verantwortlich ist. Infektionsschutz sei kaum machbar - weder in den überbelegten Unterkünften noch in den Bussen, in denen die Arbeiter*innen gefahren werden. Ein Erlass, der Einzelzimmer und Abstände vorschreibe, werde unterlaufen. Zuständigkeit und Kontrollfunktionen würden zwischen Landkreisen, Kommunen, Betrieben und Subunternehmen hin und her geschoben. Auch der katholische Geistliche Peter Kossen, der sich seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie einsetzt, sieht seine Befürchtungen bestätigt. Er hatte bereits im April in einem offenen Brief an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) besseren Schutz in Fleischfabriken gefordert. So ordne der Erlass des Bundesarbeitsministeriums Infektionsschutzmaßnahmen für Sammelunterkünfte an. Demnach sollen feste, kleine Teams gebildet werden, die zusammen arbeiten und wohnen. Grundsätzlich sei zudem eine Einzelbelegung von Schlafräumen vorzusehen. »Ich kann nicht erkennen, dass diese wichtige Vorschrift umgesetzt wird«, schreibt Kossen.
Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Deutschen Fleischwirtschaft, Heike Harstick, warnte dagegen in der »Süddeutschen Zeitung« vor härteren Auflagen. Wenn etwa die Einzelunterbringung von Arbeitern vorgeschrieben würde, wären viele Betriebe nicht mehr wettbewerbsfähig. Fleischkonzerne verweisen zudem auf firmeneigene Pandemie- Pläne und versichern, die Arbeiter*innen seien mit ausreichend Schutzausrüstung versorgt worden.
Angesichts der jüngsten Ausbrüche werden Forderungen nach schärferen Kontrollen laut. Gewerkschaften, SPD, Linke und Grüne kritisieren langjährige Missstände und verlangen ein Ende des hohen Preisdrucks in der Branche. Bislang sei viel zu wenig kontrolliert worden, so der Linken-Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel. Wie die Bundesregierung auf Anfrage seiner Fraktion mitteilte, sank die Zahl der Betriebsbesichtigungen durch Arbeitsschutzbehörden in NRW zwischen 2008 und 2018 um mehr als ein Drittel. Im Schnitt werde ein Betrieb nur alle 25 Jahre kontrolliert.
Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verwies in einem Schreiben an die Arbeitsminister der Länder auf zunehmende Berichte über »unhaltbare Zustände beim betrieblichen Infektionsschutz« auch in der fleischverarbeitenden Industrie. Demnach haben sich schon Herkunftsländer von Beschäftigten bei der Bundesregierung gemeldet. Sie behielten sich auch Maßnahmen wie Ausreisestopps vor. Heil mahnte strengere Kontrollen an. Die Bundestagsfraktion der Grünen will die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie noch diese Woche in einer aktuellen Stunde thematisieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.