• OXI
  • Ökonomie im Weltall

Gürtler aller Asteroiden ...

Neoliberaler Sternenkapitalismus oder sozialistische Raumfahrt-Gesellschaft? Wie Film und Literatur Ökonomie im Weltall darstellen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 10 Min.

Wovon werden eigentlich in Science-Fiction-Geschichten all die teuren Raumschiffe bezahlt, in denen Menschen quer durch den Weltraum zu anderen Planeten fliegen? Geht es bei diesen interplanetaren Reisen nur um Forschung, um militärische Zwecke oder auch um ökonomische Interessen, die solche Unternehmungen in einem kapitalistischen Sinn erst rentabel machen? Kann das eine Interesse vom anderen überhaupt getrennt werden? Und gibt es draußen, jottwede im All, womöglich auch noch andere Formen des Wirtschaftens als nur den Kapitalismus?

Die Science-Fiction hat sich in den vergangenen Jahrzehnten diesen Themen in Literatur und Film immer wieder gewidmet und sie motivisch weiterentwickelt. Wobei diese Narrative einer fiktionalen Zukunft ein Stück weit auch immer Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse sind, die in den Fiktionen und der ihnen zugrundeliegenden Logik sichtbar und wirksam werden. Die Wertschöpfung im Weltraum oder auf anderen Planeten war und ist dabei schon lange Dreh- und Angelpunkt zahlreicher Erzählungen. Sie ist vor allem in der kapitalismuskritischen, in einigen Fällen auch sozialistisch und marxistisch inspirierten Science-Fiction der amerikanischen und angelsächsischen Tradition zu finden.

Ein Beispiel dafür ist Ursula Le Guin, die vor zwei Jahren verstorbene Grande Dame der feministischen und libertär-sozialistischen Science-Fiction-Literatur aus den USA. In ihrem weniger bekannten Roman »Das Wort für Welt ist Wald« (1972) entwarf sie die Geschichte einer brutalen Kolonisierung eines weit entfernten Planeten. Die dort in Wäldern lebenden kleinwüchsigen, grünen, indigenen Menschen werden von irdischen Kolonisten, die an den Rohstoffen interessiert sind, brutal vertrieben und ermordet. Vieles aus diesem Roman, der sich sowohl ökologischen Themen widmet als auch Erfahrungen des Vietnamkriegs widerspiegelt, findet sich unterkomplex verarbeitet und weit weniger militarismuskritisch in James Camerons Blockbuster »Avatar« wieder.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es in beiden Fällen um den Abbau von Rohstoffen geht (das fiktive Unobtainium in Avatar – schlichtes Holz als Mangelware bei Le Guin). Der Raubbau wird als groß angelegtes koloniales Unternehmen umgesetzt, bei dem private Firmen zusammen mit dem Militär agieren, fast im Stil einer Public-Private-Partnership, die in der Geschichte des Kolonialismus mit der Ostindien-Kompanie für das britische Empire bereits eine Art Vorläuferin hatte. So kommt auch die Vorstellung eines militärisch-industriellen Komplexes zur Geltung, die in jenen Jahren in den Diskursen der amerikanischen Linken eine wichtige Rolle spielte. Ähnlich in Ridley Scotts Klassiker »Alien« (1979), in dem sich privatwirtschaftliche und militärische Interessen ergänzen und im Zuge einer alles Bisherige in den Schatten stellenden Aufrüstungsstrategie eine außerirdische Spezies biotechnologisch bearbeiten, die dann zu einer nicht mehr kontrollierbaren Waffe wird.

Während diese Erzählungen in den fiktiven Weiten unbekannter, ferner Galaxien angesiedelt sind, wird in zahlreichen Romanen und Filmen auch der näher gelegene Planet Mars kolonisiert, wenngleich in einigen Klassikern wie bei H. G. Wells, Alexander Bogdanow und Kurd Laßwitz schon ab Ende des 19. Jahrhunderts die Erde von Marsianern heimgesucht und im brutalen kolonialen Vernichtungskrieg oder als Protektorat von Außerirdischen besetzt wird. Aber spätestens mit den ersten Forschungssonden, die schon Mitte der 1960er Jahre in Richtung des Roten Planeten flogen, imaginieren Schriftsteller vermehrt eine Kolonisierung des Mars von der Erde aus.

In Philip K. Dicks »Marsianischer Zeitsturz« (1964) erinnert die Landnahme an die Geschichte Australiens oder Amerikas. Die Fiktion einer Inwertsetzung in dieser fordistischen Phase wird vor allem mit groß angelegten Immobilienspekulationen realisiert. Land wird von privatwirtschaftlicher Seite unter Zuhilfenahme eines kolonialen Verwaltungsapparates enteignet, dann an staatliche Monopole veräußert, um große Bauvorhaben zur weiteren Kolonisierung zu realisieren. Auch schon in Ray Bradburys »Mars-Chroniken« (1950) wird der rote Planet zu einer räumlichen Ressource, die auch als Fluchtpunkt für Menschen angesichts einer apokalyptischen Zerstörung der Erde dienen kann. Während im Kalten Krieg die nukleare Zerstörung im Vordergrund steht, ändert sich das in den 1990er Jahren, als das Thema Ökologie bedeutsamer wird.

Ausgerechnet im Jahr 1992, als Francis Fukuyama das Ende der Geschichte ausruft, veröffentlicht der gleichaltrige Kim Stanley Robinson den ersten Teil seiner Mars-Trilogie, die er 1993 und 1996 fortsetzt. Der im kalifornischen San Diego lebende Autor entwirft darin die Geschichte einer Kolonisierung des Mars, die schließlich zu einer Revolution führt, nach deren erfolgreichem Verlauf sich die Kolonisten als von der Erde unabhängig erklären und eine dezentrale ökosozialistische Wirtschaftsform praktizieren. Die Besiedelung der Marsoberfläche durch kommunenartige Standorte, die sich unter Kuppeln oder in Vulkankratern befinden und an denen neben einer subsistenzwirtschaftlichen Selbstversorgung und Warentausch vor allem Forschung und Hightech-Entwicklung betrieben werden, erzeugen ein Netzwerk miteinander kommunizierender, mehr oder weniger basisdemokratischer Kommunal-Verbände, die sich schließlich gegen die koloniale Verwaltung organisieren.

Die bisher kaum in Frage gestellte, aus den Narrativen der 1960er und 1970er Jahren bekannte Macht der Public-Private-Partnership des militärisch-industriellen Komplexes wird gewaltsam beendet. Das geschieht schrittweise. Eine endgültige Ablösung kommt erst zustande, als die Erde aufgrund einer ökologischen Katastrophe havariert. Meeresspiegel steigen an, in der Folge bietet sich der Mars wieder als räumliche Ressource an, um Menschen vor dem drohenden Untergang zu retten.

Nachhaltigkeit im Umgang mit planetaren Ressourcen ist ein ganz zentrales Thema in Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie. Das Terraforming, die Umgestaltung der Marsatmosphäre durch das Ausbringen von CO2 und das Abschmelzen unterirdischer Wasserreservoirs, also einen massiven Eingriff in die Ökosphäre des Planeten, um ihn erst zu erwärmen, dann die Luft für Menschen atembar und den Boden für die Kultivierung und Lebensmittelerzeugung nutzbar zu machen, wird in der Trilogie unter den Kolonisten und Revolutionären kontrovers diskutiert. Am Ende steht eine interplanetare, im Überfluss lebende Hightech-Gesellschaft mit kostenloser Gesundheitsversorgung und einem Bildungssystem für alle, die eine Besiedlung weiterer Planeten des Sonnensystems vornimmt.

In Kim Stanley Robinsons ökosozialistischer Utopie wird zwar die Vormachtstellung der kapitalistischen Produktionsweise und die Herrschaft der international organisierten Wettbewerbsstaatengemeinschaft und der in ihrem Rahmen agierenden transnationalen Konzerne in Frage gestellt und teilweise sogar überwunden, die Romane drehen sich aber nach wie vor um groß angelegte internationale Besiedlungsprojekte auf einem anderen Planeten, der erst einmal erreicht werden muss und von dem aus trotz der Schwerkraft Raumschiffe wieder starten müssen, um Güter und Menschen in Richtung Erde zu transportieren. In der jüngeren Science-Fiction spielt zwar auch der Mars eine Rolle, aber die Inwertsetzung des Weltraums findet vor allem im Asteroidengürtel statt.

Am ausführlichsten wird die kapitalistische Ausbeutung des Asteroidengürtels in unserem Sonnensystem, der in diversen Science-Fiction-Narrativen ins Zentrum rückt, in der Serie »Expanse« verhandelt. Als neunteiliges Romanprojekt (2011 – 2020) angelegt, das nun sukzessive als Serie (seit 2015) verfilmt wird, erlebt der Stoff eine vergleichsweise breite Rezeption. Der finale neunte Teil der Romanserie soll im Original noch dieses Jahr in die Buchhandlungen kommen, mit der vierten TV-Staffel ist nun auch fast die Hälfte der erfolgreichen Space-Opera verfilmt worden.

Beinahe wäre die Serie nach der dritten Staffel abgesetzt worden, aber ausgerechnet der irdische Chefkapitalist, Jeff Bezos, Amazon-Boss, derzeit als CEO von Blue Origin auch einer der wichtigsten Investoren in Sachen Weltraumtechnologie und ausgewiesener Science-Fiction-Fan, der sich sogar einen Gastauftritt in einem »Star Trek«-Film erkaufte, »rettete« die kostenintensive Serie, die nun von Amazon Prime produziert wird.

Im Zentrum von »Expanse« steht die Crew des Raumschiffs »Rocinante«, benannt nach dem Pferd von Don Quijote. Ein zusammengewürfelter Haufen Outlaws aus unterschiedlichen Ecken dieses bereits in weiten Teilen von der Menschheit besiedelten Sonnensystems. Wie der spanische Ritter gegen Windmühlen ankämpfte, fliegt die »Rocinante« fleißig gegen autokratische Machthaber, militärischen Sachzwang, umsatzgierige Konzerne und die Bedrohung durch außerirdische Technologie an.

»Expanse« wird in Feuilletons immer wieder gelobt für eine, soweit das möglich ist, realistische Inszenierung eines Weltraum-Kapitalismus mitsamt dazugehörigen großmachtpolitischen Begehrlichkeiten und einer recht drastischen Schilderung der sozialen Konsequenzen eines solchen Systems.

Die Raumfahrt ist harte, fast fordistisch wirkende Industriearbeit, wenn Crewmitglieder in Blaumännern mit riesigen Werkzeugen durch verdreckte industriehallenartige Räume laufen und in heruntergekommene Schotten kriechen. Der Feierabend in den Siedlungen im Asteroidengürtel findet in Bars statt, kommuniziert wird mit transparenten Mobiltelefonen, deren Display oft kaputt ist, während die politische und wirtschaftliche Elite der überbevölkerten Erde in wundervollen Parkanlagen spazieren geht und ihre Ränkespiele plant. Massen von Überflüssigen hausen in Favelas, im Asteroidengürtel, wo es regelmäßig zu Aufständen kommt, werden Bodenschätze abgebaut, selbstständige Schürfer versuchen, sich neben Konzernen zu behaupten oder arbeiten als deren Subunternehmer, der militarisierte Mars hat sich von der Erde unabhängig erklärt und über dem brüchigen sozialen Gefüge aus Handel, Repression und militarisierter Ordnung steht die nukleare Bedrohung. Aber die Serie zeigt auch, welche physischen Konsequenzen die Wertschöpfungsketten im Weltraum mit sich bringen.

Die klassistisch und rassistisch ausgegrenzten Belter, zumeist billige Lohnarbeitskräfte, die auf dem Asteroidengürtel leben und geboren sind, haben eine veränderte Physiognomie, sind wegen der geringeren Schwerkraft auf den Stationen des »Gürtels« größer und schlanker. Eine Reise zu einem Planeten mit Schwerkraft – egal ob zur abgeschotteten Erde oder zu einer Kolonie – wird zur lebensgefährlichen körperlichen Belastungsprobe, die nur mit entsprechender Medikation inklusive brutaler Nebenwirkungen möglich ist.

»Expanse« inszeniert konsequent die Materialität des Weltraumkapitalismus und seiner sozialen Folgeerscheinungen. Etwas weniger drastisch geschieht das in Tom Hillenbrands Roman »Qube« (2020), dessen Handlung teilweise ebenfalls im Asteroidengürtel angesiedelt ist. In dieser Welt Ende des 21. Jahrhunderts gibt es eine ausdifferenzierte Weltraumökonomie, die Bodenschätze, wie seltene Erden und andere Stoffe, im Asteroidengürtel abbaut, im Outer Space aber auch Platz für Steuern sparende Briefkastenfirmen findet.

Die »Kieselkaiserin«, Erbin des Fürstentums Luxemburg, das heute versucht, Drehkreuz der boomenden europäischen Raumfahrttechnologie zu sein, ist eine der größten Investorinnen im Asteroidengürtel. Außerdem werden in dieser hochtechnisierten Digitalwelt Asteroiden von innen ausgehöhlt und in Habitate umgebaut. Teure Raumstationen braucht in dieser Fiktion, in der diverse Milliardäre längst im Weltraum leben, niemand mehr. Jegliche industrielle Bearbeitung von Asteroiden, auf denen keine nennenswerte Schwerkraft herrscht, umgeht das Problem der Gravitation, das jede Raumfahrt mit sich bringt, die auch auf eine Rückkehr und einen Austausch angewiesen ist. Der neoliberale, volatile Kapitalismus findet mit den durch den Weltraum fliegenden Felsbrocken ein adäquates Betätigungsfeld. Aber der Asteroidengürtel ist in der Science-Fiction nicht nur Schauplatz kapitalistischer Wertschöpfung.

In Dietmar Daths jüngstem Roman »Neptunation« (2019) hat sich im Anschluss an eine geheime sowjetisch-ostdeutsche Weltraummission aus den 1980er Jahren im Asteroidengürtel eine sozialistische Hightech-Gesellschaft entwickelt. Biotechnologisch selbstoptimiert mit multiplizierten Sinnesorganen und Gliedmaßen, haben die Dysoniki nicht nur eine neue Spezies hybrider Menschenwesen gezüchtet, Kontakt zu einer feinstofflichen Art Lebewesen aufgenommen und die Mathematik revolutioniert, sondern auch unzählige Fabriken auf Asteroiden errichtet, zwischen denen sie hin- und herfliegen.

Wobei der Gründung dieser technologisch erfolgreichen sozialistischen Gesellschaft im Weltraum eine (in linken Kreisen notorische) Spaltung voranging. Die »bessere« und weniger dogmatische Hälfte der sozialistischen Kosmonauten ist gleich bis ans Ende des Sonnensystems weitergeflogen, wo sie auf dem Neptun Physik und Chemie komplett auf den Kopf stellen und eine fantastisch-utopische Welt errichten. In die – wie könnte es auch anders sein – brechen natürlich irgendwann mit brutaler Gewalt irdische Imperialisten ein.

Bei aller Bandbreite ökonomischer Modelle im Weltraum, die in der Science-Fiction zu finden sind und die vom fordistischen, staatlich organisierten Kolonialismus-Projekt bis zum kleinteiligeren neoliberalen Konzern-Unternehmen im Asteroidengürtel in jüngeren Fiktionen reicht, wird neben dem Kapitalismus auch immer die Kritik daran und die Möglichkeit, diese Wirtschaftsform zu überwinden, mit in den Kosmos geschossen.

Egal ob das die große Revolution in Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie ist oder der kleine, aber nachhaltige Widerstand der »Rocinante« in »Expanse«, bei dem das »Sich-umeinander-Kümmern« – ein wesentlicher Bestandteil der in feministischen und antikapitalistischen Debatten derzeit oft zitierten Care-Arbeit – oder einfach Solidarität wesentlicher Bestandteil des Kampfes ist. Trotz eines dystopischen Grundtons ist das utopische Potenzial als antikapitalistische Kritik und Praxis in vielen Fiktionen angelegt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -