- Politik
- Israel
Unter Protest vereidigt
Israels neue Regierung strebt nach Annexion illegaler Siedlungen
Das vermeintliche Ende der politischen Krise nahm kaum noch jemand zur Kenntnis: Die israelischen Medien blickten am Sonntag eher darauf, wie sich die Menschen auf die Rückkehr in eine neue Art von Normalität nach der Coronakrise vorbereiten. In Jerusalem wurde derweil die neue Regierung vereidigt, eine ungewöhnliche Kombination aus dem rechtskonservativen Likud des seit 2009 amtierenden Regierungschefs Benjamin Netanjahu und eines Teils der Blau-Weiß-Liste unter Führung des ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz. Dieser hatte drei Wahlen und ein Jahr lang Stein und Bein geschworen, er werde nie mit Netanjahu koalieren. Dazu kommen in der Koalition die auf wenige Sitze geschrumpfte sozialdemokratische Arbeitspartei und die beiden ultra-orthodoxen Parteien, die von mehreren Abgeordneten anderer Parteien unterstützt werden.
In der derzeitigen Krise brauche Israel eine starke Regierung, hatte Gantz seine überraschende Kehrtwende in den vergangenen Wochen immer wieder gerechtfertigt. Doch der fast 50 Seiten lange, eng bedruckte Koalitionsvertrag liest sich eher wie eine Waffenstillstandsvereinbarung als ein Wegweiser aus einer Krise. Seitenlang werden Regelungen festgelegt, die verhindern sollen, dass Likud und die Gantz-Liste sich gegenseitig übervorteilen. Über die Wirtschaft und das stark angeschlagene Gesundheitssystem wird kaum geschrieben.
Stattdessen hat man festgelegt, dass Israel am ersten Juli Teile des im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzten Westjordanlandes annektieren soll. Den Segen der US-Regierung hat man sich dafür bereits eingeholt; immerhin hatte US-Präsident Donald Trump eben diesen Schritt auch in seinem Nahost-Plan vorgesehen, zusammen mit der Gründung eines palästinensischen Staates im verbleibenden Rest des Westjordanlandes. Am Mittwoch war dann auch US-Außenminister Mike Pompeo für wenige Stunden bei Netanjahu und Gantz, um noch einmal auf die Umsetzung des Trump-Plans zu drängen und den beiden zu versichern, dass sie von den USA unterstützt werden.
Doch der politischen Preis wäre wohl immens: Jordaniens König Abdullah II warnte Israel in einem Interview mit dem »Spiegel« vor einem massiven Konflikt mit seinem Land. Auch Ägyptens Präsident Abdelfattah al Sisi ist mittlerweile auf Distanz zum Nachbarland gegangen: Die engen Kontakte zwischen den Geheimdiensten beider Länder wurden stark eingeschränkt. Außenminister Sameh Schukri warnte vor einer Einstellung der diplomatischen Beziehungen. In den vergangenen Jahrzehnten waren Jordanien und Ägypten enge Partner Israels; die Kontakte bilden einen der Pfeiler der Sicherheitspolitik des jüdischen Staats. Auf der Sinai-Halbinsel in direkter Nachbarschaft zu Israel kämpft Ägyptens Militär zudem gegen Gruppen, die sich dem Islamischen Staat zurechnen. Zudem vermittelt man immer wieder zwischen Israel und der den Gazastreifen regierenden Hamas.
Im Westjordanland selbst nehmen die Demonstrationen nun trotz der Coronakrise wieder zu; in der vergangenen Woche wurde ein israelischer Soldat durch einen Steinwurf getötet. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammad Schtaijeh warnt vor einer »unkontrollierbaren Eskalation«. Die palästinensische Autonomiebehörde könne zusammenbrechen, so Schtaijeh - eine Drohung, die Netanjahu allerdings umgehend zurückwies. Solche Dinge habe man von den Palästinensern immer wieder in den vergangenen Jahren zu hören bekommen, passiert sei nichts.
Allerdings droht Israels neuer Regierung auch Ungemach aus Europa: Mehrere Regierungen der Europäischen Union, darunter Frankreich, forderten während einer Telefonkonferenz der EU-Außenminister*innen Sanktionen, die Israel hart treffen würden: Die Europäische Union ist wichtigste Handelspartnerin des Landes. Doch der Koalitionsvertrag enthält auch eine Ausstiegsklausel: Bei der Entscheidung zur Annektion müssten internationale Verträge beachtet werden. Doch sicher ist auch: Netanjahu wird versuchen, die Annektion mit aller Macht durchzusetzen. Denn nur so kann er sich neue Wähler am rechten Rand erschließen und sich die Unterstützung Trumps sichern, der vor der Präsidentschaftswahl den Erfolg seines Plans braucht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.