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Wieder ein Coronavirus-Ausbruch in niedersächsischem Schlachthof
92 Mitarbeiter in Dissen positiv getestet, Produktion ausgesetzt / Am Mittwoch beschäftigt sich Corona-Kabinett mit Zuständen in der Fleischindustrie
Berlin. Kurz vor Beratungen des sogenannten Corona-Kabinetts über die Missstände in der Fleischindustrie ist ein weiterer massiver Ausbruch des Virus in einem deutschen Schlachtbetrieb bekannt geworden. 92 Mitarbeiter eines Schlachthofs im niedersächsischen Dissen wurden positiv getestet, wie der Landkreis Osnabrück am Sonntagabend mitteilte. Die für die Bekämpfung des Virus zuständigen Kabinettsmitglieder wollten am Montag über eine mögliche stärkere Regulierung der Fleischbranche beraten. Die Gespräche wurden nun auf Mittwoch verschoben. Es gebe noch Beratungsbedarf, hieß es am Montag aus Regierungskreisen in Berlin.
Für die infizierten Mitarbeiter der Firma in Dissen und ihre Kontaktpersonen wurde Quarantäne angeordnet. Die Produktion in dem Schlachthof wurde ausgesetzt. Viele der Infizierten wohnten in Sammelunterkünften und würden von Subunternehmen beschäftigt, teilte der Landkreis ferner mit. Bereits zuvor waren in mehreren anderen deutschen Schlachthöfen zahlreiche Coronavirus-Infektionsfälle aufgetreten.
In der Sitzung des Corona-Kabinetts will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Vorschläge für eine Änderung des Arbeitsschutzgesetzes präsentieren. Berichten zufolge sieht ein Beschlussvorschlag ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen in Schlachthöfen vor.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) appellierte an die Bundesregierung, eine »grundlegende Reform« der Fleischindustrie auf den Weg zu bringen. Es müsse neue Gesetze und »glasklare Regeln« für die Branche geben, sagte NGG-Vizechef Freddy Adjan den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dazu gehöre vor allem das Verbot von Werkverträgen im Kernbereich der Unternehmen.
Das System der Werkverträge - also der Anheuerung von Subunternehmen - habe die schlimmsten Zustände in der Branche ermöglicht, beklagte Adjan. Die Betriebe dürften das Schlachten nicht mehr »an dubiose Billigfirmen vergeben und damit die Verantwortung auslagern«. Die Fleischkonzerne hätten »skrupellos die Gesundheit von zehntausenden Menschen gefährdet«.
Auch die Debatte um die Fleischpreise nahm im Vorfeld der Corona-Kabinettssitzung zu. Grünen-Chef Robert Habeck bekräftigte seine Forderung nach einem Mindestpreis für Fleischprodukte. »Preise für Fleisch oder Milch, die unter den Produktionskosten der Bauern liegen, sind schlicht eine Schweinerei«, sagte er der »Bild«-Zeitung.
Die Lockangebote an Verbraucher beim Fleisch legten den Bauern »Daumenschrauben« an und »zerstören alles, was politisch sinnvoll ist«, kritisierte der Grünen-Vorsitzende. Wenn von den Bauern gute Arbeit sowie Tierschutz und Klimaschutz verlangt würden, müssten sie dafür auch entsprechend bezahlt werden.
Auch Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein plädierte für höhere Fleischpreise. »Der unanständige Preiskampf beim Fleisch ist die Wurzel vieler Übel«, sagte der CSU-Politiker der »Augsburger Allgemeinen«. Er bringe die Landwirte in Existenznöte, schade dem Tierwohl und sei für die problematischen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen verantwortlich.
Nüßlein sprach sich dafür aus, die Fleischpreise über die Mehrwertsteuer anzuheben. Derzeit gilt für Fleisch und Wurst der reduzierte Satz von sieben Prozent. Wie hoch die Erhöhung des Steuersatzes für Fleisch ausfallen solle, ließ der Fraktionsvize allerdings offen. Die Mehreinnahmen müssten direkt an die Landwirte weitergegeben werden, forderte er. Dies müsse mit der Auflage verbunden werden, für mehr Tierwohl zu sorgen, etwa durch den Bau artgerechter Ställe. Agenturen/nd
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