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- Corona und die Linke
Links, aber sexy
KLIMA UND WANDEL: In der Corona-Krise sind linke Themen in aller Munde. Will die Linkspartei davon profitieren, darf sie nicht allein auf Inhalte setzen.
Als sich Kanzlerin Merkel am 18. März an die Bevölkerung richtete und das verunsicherte Land auf die kommenden Corona-Wochen vorbereitete, appellierte die CDU-Politikerin an eine Eigenschaft, die linker nicht sein kann: Solidarität.
Seit der Deutschen Einheit, »nein, seit dem Zweiten Weltkrieg«, so Merkels historischer Corona-Apell an die Nation, habe es in Deutschland keine Herausforderung gegeben, bei der es »so sehr« auf »unser gemeinsames, solidarisches Handeln« ankäme. Tatsächlich griff die Große Koalition anschließend ziemlich tief in die linke Instrumentenkiste: Corona-Kündigungsschutz für Mieter und Gewerbetreibende, keine Sperren von Strom, Telefon und Gas bei klammer Kasse, Aussetzung der Vermögensprüfung bei Hartz IV und dergleichen.
Corona veränderte das gesellschaftliche Klima, mit einem Schlag wurde der viel gescholtenen Unterschicht als tragende Säule der Gesellschaft breiter Respekt gezollt. Jetzt, da sich alle Welt zu Hause vor dem Virus versteckte, waren die unterbezahlten Underdogs zur Stelle und schlagartig »systemrelevant«. Vergessen waren anzugtragende Banker, Konzernvorstände und Finanzexperten. Für die Regaleinräumer bei Aldi, Kassiererinnen bei Netto und Krankenpfleger in den Krankenhäusern gab es Applaus von den Fenstern und Balkonen, für die Working Poor gab es die verdiente Anerkennung. Corona-Sonderzahlungen wurden ausgeschüttet. Sogar die Schuldenbremse, das goldene Kalb des neoliberalen Wirtschaftens, wurde zum Wohle aller über Nacht auf die Pandemie-Schlachtbank geführt. Selbst Unternehmen in der Not zu verstaatlichen war kein Tabubruch mehr. Ein neuer Wind des Zusammenhalts wehte plötzlich durch die krisengeschüttelte Republik.
Dieser Wind war jedoch immer auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt, die Außengrenzen wurden noch einmal hochgezogen und verstärkt. Mit zunehmendem Abstand wird deutlich: Das Klatschen an den Fenstern und der demonstrative Applaus im Parlament hat das dröhnende Schweigen übertönt über die sklavenähnlichen Zustände in den Fleischfabriken, über die real immer noch prekäre Situation von Niedriglöhnern, darüber, dass Corona keine große Gleichmacherin ist, sondern reale Spaltungen vertieft.
Bisher bleibt die ersehnte Stunde der Linken aus. Merkels Union sitzt heute sicher wie nie im Sattel, trotz oder gerade wegen der vermeintlich neuen Solidarität. Umfragen sehen die Regierungspartei bei 40 Prozent. Die Linkspartei steht dagegen nur bei 8 Prozent der Wählerstimmen. Rot-Rot-Grün: Auch in Umfragen in weiter Ferne. Wie schon in der sozial verheerenden Finanzkrise profitiert die einzige antikapitalistische Linke in Deutschland nicht von der Notwendigkeit linker Politik. An den Positionen der Linken in der Corona-Krise kann es nicht liegen, dass die Partei immer wieder an der 10-Prozent-Schallmauer scheitert. Von Krisenbeginn an macht die größte Oppositionspartei der letzten Wahlperiode eine vernünftige Arbeit: Kritische Zustimmung für die notwendigen Rettungsschirme, Verhinderung von Impfausweisen und unausgereiften Tracking-Apps, Forderungen wie Corona-Reichenabgabe, mehr Kurzarbeitergeld, mehr Hilfen für Familien, Künstler, Studenten, Papierlose, Aufnahme von Geflüchteten, keine Staatshilfen für Steuerparadies-Firmen und Klimasünder, deutliche Abgrenzung von Verschwörungstheoretikern. Sie bildet dabei den Gegenpol zum neoliberalen Einerlei, zur kalten Normalität der Verwertungsgesellschaft, die langsam wieder in bundesdeutschen Gefilden Einzug hält.
Natürlich sind Krisen die Zeit der Regierung. Aber die Frage bleibt: Wenn im Politikbetrieb nicht die richtige Forderung, nicht das bessere Argument zum Erfolg, zu mehr Zustimmung führt, was ist es dann? Theorien zu Parteien, Wählerbindung und Wahlkampfstrategien gibt es wie Sand am Meer. Der Soziologe Hartmut Rosas hat in seinem 800-Seiten Werk »Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen« vor vier Jahren eine neue und spannende Kategorie in die Gesellschaftswissenschaften eingeführt. Nicht allein ein großes Haus, ein voller Kühlschrank und ein Mercedes vor der Tür mache die Menschen glücklich. Nicht allein der Partner, die Kinder und ein sicherer Job sorgen allein für ein gutes Leben. Neben dem materiellen Wohlstand, den sowohl der DDR-Sozialismus wie die BRD-Sozialdemokratie wie eine Ikone vergöttert, ist ein andere Schritt unverzichtbarer zur Erfüllung der Menschenrechte: Das Erleben von Antworten, von Rückkopplung, von »Resonanz« auf unser Dasein. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Ein gelingendes Leben ergibt sich laut Rosas in einer Welt, »bei dem die Subjekte sich nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich berühren, das heißt handelnd Welt zu erreichen vermögen.« Das Anschauen eines schönen Bildes, der unberührten Natur, ein Lied kann Resonanz auslösen. Die Begegnung mit einem Freund.
Für die Politik heißt Resonanz zu ermöglichen, ja sicherzustellen, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Sich mit ihnen zu beraten, Macht zu teilen. Sich nicht auf Regierung, Parlament, Talkshows, Pressemitteilung oder Zeitungsinterviews zu beschränken. Eine Demokratie ohne Resonanz, wo es nur Regierende und Regierte, nur Steuerzahler und Sozialhilfeempfänger gibt, solch ein lustloser Zustand droht schnell in die Brüche zu gehen. Evident wird das an der »Politikverdrossenheit«, die im Kern ein Überdruss daran ist, wie Macht rücksichtslos im Politbetrieb durchgesetzt wird. Umso mehr müsste eine Linke aus diesem Betrieb heraustreten, müsste ihre Politik erfahrbar machen, müsste gezielt und subversiv Normalität durchbrechen, anstatt das Spiel mitzuspielen. Wie wirksam die Herstellung von Resonanzen in der Politik sein kann, das zeigt der zweifelhafte Erfolg von Pegida und der AfD. Eine große Zahl von Menschen und besonders viele, die sich bisher vom politischen System abgewendet hatten oder von ihm enttäuscht sind, wurde von den Rechtspopulisten in eine rechtsresonante Schwingung gebracht.
Die Linke war und ist eine Resonanzpartei. Sie mischt schon heute in vielen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Mieterinnenvereinigungen mit, ist tief im Anti-Kohle-Aktivismus, bei Streiks und Demos verankert. Eine der Leerstellen von (linker) Politik hat der Klimaaktivist Tadzio Müller diese Woche in einem Interview mehr als anschaulich ausgeleuchtet: »Weltretten muss sexy sein«, so verwies Müller, Referent für Klimagerechtigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und langjähriger Organisator beim Klimabündnis »Ende Gelände«, auf den Zusammenhang von Stimmung und Politik machen. Diese sei oft noch viel zu dröge. Viele Menschen würden nicht auf klassisch linke Demos, Veranstaltungen oder Versammlungen gehen, weil das »so anstrengend und traurig wirkt«, glaubt Müller. Wer einmal einen Kohlebagger mit seinem Körper blockiert habe, sich einmal einer rechten Demo entgegengestellt habe, der könne Politik fühlen, »als würde ich eine Batterie voll puren Lebens anfassen«. Aktionen des zivilen Ungehorsams von »Ende Gelände«, die theatralischen Auftritte von »Extinction Rebellion«, die Schulstreiks von »FridaysForFuture« schöpfen ihren großen Zulauf aus dem »Kick«, so der Doktor der Politikwissenschaften. Nicht nur Party machen im Club, auch der Kampf um eine gerechte Gesellschaft kann zu »absoluter und lebensverändernder Euphorie« führen. Schafft die Linke auch nur einen kleinen Teil dieser aktivistischen Lebensfreude in die Partei zu holen und dafür weniger Sitzungssozialismus und Abarbeiten von Tagesordnungen, für unsere gemeinsame Sache wäre wirklich viel getan.
Lorenz Gösta Beutin ist Klimapolitiker der Linken im Bundestag.
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