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Koalitionsstreit um Ende Gelände
Der Verfassungsschutzbericht sorgt im Abgeordnetenhaus für Debatten
Nach der Vorstellung des Berichts des Verfassungsschutzes (VS) für das Jahr 2019 in der vergangenen Woche und der folgenden Kritik hat sich nun auch das Abgeordnetenhaus mit dem Inhalt beschäftigt. Im Verfassungsschutzausschuss stellten sich der Präsident der Behörde, Michael Fischer, und Innensenator Andreas Geisel (SPD) den Kritiken und Fragen. »Der Verfassungsschutz erfüllt seine Funktion als Warner«, verteidigte Geisel zunächst die Behörde. Ihr Bericht schärfe das Bewusstsein gegenüber den Gefahren für die Demokratie. Kritik wurde erneut von den Regierungsfraktionen formuliert, insbesondere wegen der Einstufung der Klimaaktivist*innen von »Ende Gelände« als linksextrem. Doch auch die Opposition sieht Defizite im Bericht und dem »anti-extremistischen Konsens« im Parlament, so Stephan Lenz (CDU).
»Der Berliner Verfassungsschutz beobachtet nicht die Klimabewegung«, stellte VS-Präsident Fischer in Reaktion auf die Kritik klar. Diese Bewegung habe ihre Existenzberechtigung, jedoch sei die »Ortsgruppe« von »Ende Gelände« »keine reine Klimaschutz-Organisation«. Vielmehr verfolge sie extremistische Ziele, lehne das Gewaltmonopol des Staates ab und propagiere zivilen Ungehorsam. Die Gruppe, der Überschneidungen mit der Interventionistischen Linken vorgeworfen werden, verknüpfe Klimaschutz mit einem Systemwechsel, was mit der Parole »System change, not climate change« belegt wäre.
Das ist manchen Abgeordneten zu weit hergeholt: »Das System ändern zu wollen, ist nichts Verwerfliches«, merkte etwa June Tomiak (Grüne) an. Das würde alle politischen Parteien in gewisser Weise wollen. »Die Formulierungen im Bericht gehen weit darüber hinaus«, verschärfte dann Niklas Schrader (Linke) die Kritik. Dort spreche man »Ende Gelände« ab, das Klima schützen zu wollen, nur weil die Gruppe auch die Wirtschaftsweise thematisiert. »Das ist keine neutrale Analyse, sondern eine politische Aussage«, so Schrader. Für ihn zeigt die Diskussion ein grundlegendes Problem des VS auf. »Unsere Haltung zum Verfassungsschutz ist ja bekannt«, so der Abgeordnete, der auch schon zuvor die Auflösung der Behörde gefordert hat.
Dem steht in Berlin auch die SPD im Weg: Mit ihr in der Regierung wird es darüber keine Diskussion geben. »Da sind wir klar und standhaft«, sagte ihr Abgeordneter Tom Schreiber. Er verteidigte auch die Aufnahme von »Ende Gelände« in den Bericht. Die Unterwanderung der Bewegung durch Extremisten müsse klar benannt werden, meinte Schreiber, der auch die Mieten-Proteste als linksextrem unterwandert betrachtet.
Die Opposition freute sich derweil über die Diskussion. »Da haben wir grundlegend unterschiedliche Meinungen«, sagte CDU-Politiker Lenz in Richtung Linke und Grüne. »Natürlich haben die deutschen Großstädte ein Problem im Linksextremismus.« Sein Parteikollege Kurt Wansner ging noch weiter: »Der Linksextremismus bleibt in Berlin gefährlicher als der Rechtextremismus.« Wansner sprang sogar der AfD zur Seite. Es sei verwerflich, dass die Partei keine Räume mehr in Berlin anmieten könne. Das würde dereinst auch CDU und FDP treffen und bedrohe den Pluralismus.
Über den Rechtsextremismus wurde - genau wie über den Islamismus - in der Sitzung kaum gesprochen. Dabei hatte Innensenator Geisel genau auf diesen den Fokus in der Vorstellung des Berichts legen wollen. »Wir werden den Druck auf die rechtsextremistische Szene hochhalten«, lautete seine politische Konsequenz. Die Entwicklungen - weg von Organisationen wie der NPD hin zu freier Organisierung beispielsweise von Kampfsportevents - beobachte er mit Sorge, so Geisel. Die rechte Szene habe bei der Anschlagserie in Neukölln gezeigt, was sie anrichten kann.
Kritik gab es in diesem Kontext an der Tatsache, dass die AfD und ihre Jugendorganisation, die Junge Alternative, nicht im Bericht vorkommen, obwohl sie 2019 eindeutig gezeigt haben, dass sie mit Rechtsextremist*innen zusammenarbeiten. VS-Präsident Fischer gibt das zu: »In der Tat kommen beide Organisationen nicht vor.« Man würde allerdings keine Verdachtsbekundungen, sondern nur nachgewiesene Fälle von Extremismus in den Bericht aufnehmen. Da war man sich wohl in seiner Behörde bei »Ende Gelände« sicherer.
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