Werbung

Der Linksregierung zittern die Hände

Fernando Bardera über Spaniens zaghafte Sozialpolitik und die notwendige Fortsetzung des Mietenstreiks

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Mietergewerkschaften haben in Spanien in der Coronakrise zum Mietenstreik aufgerufen. Was ist der Hintergrund?

Als Mitte März der Alarmzustand dekretiert wurde, war für uns eines klar: Wenn die Leute nicht mehr arbeiten können, bekommen sie kein Geld oder weniger Geld, aber ihre Ausgaben laufen weiter. Breite Schichten, die gerade so über die Runde kamen, nichts sparen konnten, kommen schnell in Bedrängnis. Und das zentrale Problem ist die Wohnung.

Im Interview

Fernando Bardera ist Sprecher der spanischen Mietergewerkschaft »Sindicato de inquilinas«. Angesichts der unzureichenden Maßnahmen der spanischen Regierung halten sie am Aufruf zum Mietenstreik fest. Seit dem 1. April bezahlen klamme Wohnungsmieter, Selbstständige und kleine Gewerbetreibende die Mieten nicht mehr. Mit Fernando Bardera sprach für »nd« Ralf Streck.

Haben Mietergewerkschaften in Spanien Tradition?

Sie sind ab 2017 angesichts der dramatischen Situation vieler Mieter entstanden. Massiv steigende Mieten führten dazu, dass Menschen aus ihren angestammten Gebieten verdrängt werden. In Spanien laufen Mietverträge nach drei Jahren aus und die Fonds verlängern sie oft nicht oder verlangen enorme Mieterhöhungen von bis zu 300 Prozent. Wir haben begonnen, Mieter zu organisieren, um gemeinsam zu verhandeln oder Widerstand zu leisten.

Gibt es in Spanien keine Mieterrechte, die schützen?

Gesetze, die Mieter wie in fast allen Ländern schützen, gibt es hier nicht. Mieten können zum Beispiel unbeschränkt erhöht werden. In Madrid beträgt die Durchschnittsmiete etwa 600 Euro bei einem Mindestlohn von 950 und einem Durchschnittslohn von 1250 Euro. Oft müssen 70 bis 80 Prozent des Lohns für die Miete aufgebracht werden. Und die Spekulation mit Wohnungen wurde über börsennotierte »Socimis« gefördert, Investmentgesellschaften, die keine Unternehmenssteuern bezahlen. Großen Fonds wurde der rote Teppich ausgerollt. Wir haben die Situation, dass hier geschätzt etwa drei Millionen Wohnungen leer stehen, während es eine riesige Nachfrage gibt.

Was fordern Sie von der Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten (PSOE) und der Linkskoalition Unidas Podemos (UP)?

Wir haben der Regierung ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, in dem die Aussetzung der Mietzahlungen genauso enthalten war, wie die Einführung eines Grundeinkommens. Die Leute brauchen ihr Geld jetzt für Lebensmittel, Medikamente und andere lebenswichtige Dinge. Die, die viele Wohnungen besitzen, können auf die Zahlungen temporär verzichten und einen Beitrag zur Bewältigung des Notstands leisten. Die Regierung hat unsere Vorschläge aber nicht beachtet.

Wie entwickelt sich der Streik?

Auf unserer Webseite haben sich aktiv etwa 20 000 Menschen gemeldet. Wir bilden nun Streikgruppen in Gebieten und Sektoren. Die Komitees bilden sich langsam, aber sicher und es gibt schon mehr als 100. Es geht auch um die Mieten von kleinen Gewerbetreibenden, Selbstständigen oder Barbesitzern …, die nicht mehr bezahlen können. Wir gehen davon aus, dass die Beteiligung Monat für Monat zunimmt. Dass Spanien in der Frage in Europa hervorsticht, ist kein Verdienst von uns. Es ist das Ergebnis davon, dass die Lage hier besonders schlecht ist. Allerdings ziehen andere nach, so haben auch Initiativen in New York zum Mietenstreik aufgerufen und wir stehen in Kontakt zueinander.

Glauben Sie, dass die Regierung auf die Forderungen hin Maßnahmen ergreift, die den einfachen Leuten wirklich helfen?

Wir sind uns da nicht sicher. Es gibt zwar einigen Druck, aber wir haben bisher keine Neuigkeiten, stehen aber im Kontakt. Die Gesundheitsfrage hat bisher praktisch alles zur Seite gedrängt. Aber in dem Maße, wie wir wieder auf die Straße gehen können, deutlich wird, dass der Streik anhält, wird sich die Lage verändern. Wir wissen auch, dass ursprünglich noch viel schwächere Hilfsmaßnahmen mit dem Dekret zum Alarmzustand geplant waren. Wirtschaftsministerin Nadia Calviño hatte sich anfangs stark gegen Hilfen gestellt.

Hätte man aber von einer Linksregierung unter Beteiligung von UP nicht mehr erwarten können?

Natürlich hätten wir mehr erwartet. Es ist wohl so, dass denen, die uns näher stehen, die Hände zittern, wenn sie in Machtpositionen sind. Klar ist aber auch, dass die Lage noch viel schlechter wäre, wenn wir in dieser Situation eine Rechtsregierung hätten. Wir wissen, dass das, was erreicht wurde, über UP gegen den Widerstand von Calviño erreicht wurde. Meine persönliche Meinung ist, dass UP zwar im Kabinett Druck ausübt, aber gleichzeitig auch nicht das Bündnis in Frage stellen und Stabilität garantieren will. Schließlich gibt es auch massiven Druck der Opposition und deren Absicht, die Regierung zu zerstören, will UP nicht befördern.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -