Bundesgerichtshof beschränkt dritten Geschlechtseintrag auf Inter*-Personen

Verbände warnen vor Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot und weisen auf Zwangsgutachten hin

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Ausweis sagt das eine: »weiblich« oder »männlich«, das eigene Geschlecht passt aber nicht in eine dieser Kategorien. Für intergeschlechtliche Menschen – also Personen deren Körper nicht den typischen Normen von »Mann« und »Frau« entsprechen – besteht deshalb seit Ende 2018 die Möglichkeit, den Personenstand beim Standesamt zu ändern: in »divers« statt »weiblich« oder »männlich«. Eine Löschung des Personenstands war schon zuvor möglich.

Vorangegangen war ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur »Dritten Option« vom Jahr 2017, nach dem die Rechtslage mit nur zwei Geschlechtsoptionen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoße. Neben intergeschlechtlichen Personen hatten auch nicht-binäre Trans*-Personen, also Menschen, deren Geschlechtsidentität weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann, Gebrauch von dem Gesetz gemacht.

Wie jetzt bekannt wurde, hat der Bundesgerichtshof Ende April jedoch entschieden, diese Möglichkeit in Zukunft auf Inter*-Personen zu beschränken – mit dem »ärztlichen nachgewiesenen Fehlen einer eindeutigen weiblichen oder männlichen körperlichen Geschlechtszuordnung«. Fälle der »nur empfundenen Abweichung des eigenen vom eingetragenen Geschlecht«, sollen somit künftig nicht mehr umfasst sein, sondern wieder unter das sogenannte »Transsexuellengesetz« (TSG) fallen. Das aus den 1980er Jahren stammende TSG sieht jedoch vor, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags nur nach Vorlage von zwei Gutachten von »Sachverständigen« erwirkt werden kann. Den Gutachten geht außerdem eine Zwangstherapie voraus.

»Ich bin wirklich heilfroh, dass ich meinen Geschlechtseintrag noch rechtzeitig ändern konnte«, sagt Kay Hauter im Gespräch mit dem »nd«. Hauter lebt in Berlin und hatte als nicht-binäre Trans*-Person 2019 Gebrauch von der neuen gesetzlichen Regelung gemacht. »Diese neue Entscheidung ist ein schrecklicher Rückschritt: Einerseits in der gesellschaftlichen Anerkennung von Geschlechtsidentität und andererseits ganz konkret für alle Personen, die ihren Geschlechtseintrag nicht mehr rechtzeitig ändern konnten«, so Hauter.

Verbände kritisieren Entscheidung des BGH

Auch zahlreiche Organisationen üben Kritik an dem neuen BGH-Urteil. »Wir fordern ein Gesetz, das allen Menschen ermöglicht, selbstbestimmt und hürdenlos über ihren Geschlechtseintrag zu entscheiden – ohne Zwangsbegutachtungen, langwierige Gerichtsverfahren und medizinische Diagnosen«, erklärt etwa der Verein TransInterQueer (TRiQ) in einer Stellungnahme. Der BGH halte in seinem Urteil nicht nur an einem einengenden Verständnis von Geschlecht fest, sondern trage auch zu einer weiteren Normalisierung des Begriffs »Variante der Geschlechtsentwicklung« bei, so der Verein. Problematisch sei daran, dass unter dem Begriff die vielschichtigen, enorm unterschiedlichen medizinischen Diagnosen von Inter* zusammengefasst und die Komplexität von körperlicher Geschlechtsentwicklung bei allen Menschen damit reduziert werde.

Auch der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) zeigt sich angesichts des BGH-Urteils besorgt: »Wir sehen in der Unterscheidung zwischen trans*- und intergeschlechtlichen Menschen bei den Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot im Grundgesetz«, erklärt Gabriela Lünsmann vom Bundesvorstand des LSVD. Die vom BGH vorgenommene Differenzierung zwischen inter*- Personen mit sogenannter beweisbarer »biologischer Uneindeutigkeit« einerseits und Personen mit sogenannter »empfundener Uneindeutigkeit« andererseits sei fachlich nicht begründbar, so Lünsmann.

Auch Hauter ärgert sich über die Gutachtenspflicht: »Es heißt Sachverständige, aber wer könnte denn ein besserer Sachverständiger über mich sein, als ich selbst?« Im Rahmen der Zwangstherapie komme es oft zu furchtbaren Grenzüberschreitungen durch die vermeintlichen »Sachverständigen«. »Wir müssen beispielweise über Themen wie Unterwäsche oder sexuelle Vorlieben sprechen. Und das in dem Wissen, dass die falsche Antwort bedeuten kann, weiterhin mit dem falschen Geschlechtseintrag leben zu müssen«, erklärt Hauter. So hat das TSG bis 2011 sogar vorgeschrieben, dass sich Trans*-Personen sterilisieren lassen müssen, um ihren Geschlechtseintrag anzugleichen. Viele Betroffene, so Hauter, würden sich durch die Gesetzeslage weiterhin fremdbestimmt fühlen.

Verbände wie der LSVD und TrIQ fordern deshalb seit langem eine Änderung oder Abschaffung des in weiten Teilen vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten TSG.

»Wir wollen, dass eine Vornamens- und Personenstandsänderung allein auf Antrag beim Standesamt ermöglicht wird; ohne Zwangsberatungen, Gutachten, ärztliche Atteste oder Gerichtsverfahren«, so Lünsmann vom LSVD. Für die Zukunft sei zu hoffen, »dass das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des BGH schnell korrigiert«.

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