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Forschung ohne Sockel
Warum man das Robert Koch-Institut umbenennen sollte.
Nie war der Mediziner und Mikrobiologe Robert Koch so präsent wie jetzt. Tagtäglich blickt die Republik auf die Zahlen zur Corona-Epidemie, die das nach ihm benannte Bundesinstitut veröffentlicht. Für viele mag schon sein Name etwas Sicherheit ausstrahlen: Kochs Arbeit ist es mit zu verdanken, dass Infektionskrankheiten wie Tuberkolose, Cholera und Dyphterie in Deutschland und Europa seinerzeit eingedämmt werden konnten.
Doch andere erinnert der Name Robert Koch an einen Mediziner, der wirtschaftliche Interessen weit über das Wohl der Behandelten stellen konnte, wenn es die Umstände erlaubten. In den Jahren 1906/1907 - zur Zeit des Völkermords an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika und des Maji-Maji-Kriegs in Deutsch-Ostafrika - war Koch beauftragt, die dort weit verbreitete Schlafkrankheit zu bekämpfen. Hierzu verabreichte er einheimischen Erkrankten das arsenhaltige Mittel Atoxyl. Schon bald war klar, dass es keine Heilung bewirkte - und zudem drastische »Nebenwirkungen« hatte: starke Schmerzen, Erblindung und in seltenen Fällen sogar den Tod.
Dennoch riet Koch nicht nur, an dieser Substanz festzuhalten, sondern verdoppelte sogar die Dosis. Denn wer sie nahm, war nicht mehr ansteckend. So konnte die Arbeitsfähigkeit der kolonisierten Bevölkerung sichergestellt werden. Und der wirtschaftliche Nutzen war im Sinne der Kolonialmacht entscheidend, ob es nun um menschliche Arbeitskraft ging oder um Haustiere, denen sich Koch bei der Bekämpfung der afrikanischen Rinderseuche widmete.
Aus diesem Grund wird von zivilgesellschaftlicher Seite schon seit längerem diskutiert, ob Kochs Name für eine deutsche Bundesbehörde angemessen ist. Anlässlich seines 110. Todestages in der vergangenen Woche hat nun auch der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer die Umbenennung des Instituts gefordert. Denn Kochs Reisen nach Afrika und Indien ermöglichten ihm Forschungen mit weniger Konkurrenz - und nicht zuletzt weniger Kontrolle. Seinem im Grundsatz rassistischen Menschenbild nach waren afrikanische Leben weniger wert als europäische, etwaige »Behandlungsfehler« fielen nicht so ins Gewicht. Deutschen hätte Koch wohl kaum jene Atoxyl-Kur verordnet.
Doch nicht nur Robert Koch, so Zimmerer, war vielfach in das koloniale System seiner Zeit eingebunden. Die Medizin insgesamt war eine »Kolonialwissenschaft par excellence«: Während Einheimische an eingeschleppten Krankheiten verstarben, ermöglichte es erst die Entwicklung bestimmter Medikamente für die Europäer, ins Innere des afrikanischen Kontinents vorzudringen und dort Verwaltungsstationen aufzubauen.
»Es geht mir nicht darum, jemandem vom Sockel zu stoßen«, stellt der Historiker klar, wenn man ihn fragt. Aber warum müssen überhaupt einzelne auf Sockel gestellt werden, wo doch in der Wissenschaft bahnbrechende Entdeckungen zumeist nicht auf ein einzelnes »Genie« zurückgehen, sondern auf kollektive Erkenntnisprozesse im wissenschaftlichen Austausch?
Nicht nur in diesem Sinn könnte eine Umbenennung des heute so prominenten Instituts die Auseinandersetzung mit der Geschichte und Ethik der Medizin befördern. Sondern auch hinsichtlich der globalen Dimension von Gesundheit, die das Coronavirus in diesen Wochen vergegenwärtigt - sowie der Frage nach dem Verhältnis von Menschenleben und dem Wohlergehen der deutschen Wirtschaft. Hier aber muss, wer Robert Kochs Wirken genauer betrachtet, am Ende Jürgen Zimmerers Urteil unterschreiben: Er ist für heute »kein gutes Vorbild«.
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