Mehr arbeiten und weniger Lohn
Unternehmer in Frankreich wollen mit Corona Zugeständnisse von ihren Angestellten erpressen
Als Frankreichs größter Unternehmerverband MEDEF vor Wochen vorschlug, im Interesse des Neuanfangs nach der wirtschaftlich verheerenden Coronakrise für eine gewisse Zeit die Arbeitszeiten zu verlängern und Umweltauflagen zu lockern, hat das einen Sturm der Entrüstung auslöst. Die Regierung ging darauf zunächst nicht ein. Die Gewerkschaften wiesen das Ansinnen geschlossen zurück. Jetzt versuchen es die Unternehmer erneut, aber diesmal auf Ebene einzelner Betriebe, wo sie sich offenbar mehr Erfolg versprechen.
Besonders brutal geht die irische Billigfluggesellschaft Ryanair vor, die von den Mitarbeitern ihrer Frankreich-Filiale ultimativ fünf Jahre Lohnverzicht fordert. So sollen die Piloten für 20 Prozent weniger Gehalt arbeiten, das Kabinenpersonal für zehn Prozent weniger. Wer nicht einverstanden ist, muss mit Entlassung rechnen. Die Airline plant die Streichung von mindestens 50 der heute 241 Arbeitsplätze in Frankreich.
Ein Pilot, der aus Furcht vor Sanktionen seinen Namen nicht nennen will, hat den Gewerkschaften berichtet, man habe von ihm verlangt, ab Juli eine Kürzung seines Gehalts von heute 1100 Euro netto im Monat auf 900 Euro zu akzeptieren. »Damit kann ich beim besten Willen nicht leben«, erklärt der Pilot. Bei 900 Euro liegt in Frankreich die Armutsgrenze.
Gewerkschafter sind empört: »Das ist eine ungeheuerliche Erpressung«, sagt Damien Mourgues, Mitglied des Betriebsrats für die Gewerkschaft Force ouvrière. Er verweist darauf, dass Ryanair 2019 einen Nettogewinn von 885 Millionen Euro verbuchen konnte und über Rücklagen in Höhe von vier Milliarden Euro verfügt. »Über gemeinsame und ausgewogene Anstrengungen, die Folgen der Krise zu überwinden, lässt sich durchaus reden, aber nicht so und nicht in einem Maße, das unsere Kollegen in die Armut treibt.« Ryanair versteht die Vorwürfe nicht und erklärt: »Es handelt sich um vernünftige und zeitlich begrenzte Maßnahmen, die das Ziel verfolgen, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten.«
Während der Unternehmerverband im April noch unverblümt vorschlug, die 35-Stunden-Woche zeitlich begrenzt aufzuheben und zu 39 Stunden zurückzukehren, sind die aktuellen Ideen subtiler. Demnach sollen die Beschäftigten auf einen bezahlten Feiertag im Jahr verzichten. Überstunden sollen nicht mehr mit Aufschlag bezahlt werden und auch nicht mehr in vollem Umfang. Überdies sollen die Beschäftigten einer individuell ausgehandelten Arbeitszeitverlängerung bei gleichbleibendem Lohn zustimmen.
Anders als Ryanair setzen die meisten Unternehmen, die solche Vorschläge unterbreiten, auf Dialog mit der Belegschaft und ihren Gewerkschaften. Und sie sind damit durchaus erfolgreich. Dabei ist die Zustimmung zu Abstrichen umso größer, je kleiner das Unternehmen ist und je mehr die Beschäftigten Einblick in dessen Krisensituation haben. Aber auch in größeren Betrieben lassen Gewerkschaften mit sich reden. Sie pochen jedoch darauf, dass Gehaltskürzungen laut Gesetz nur möglich sind, wenn sich das Unternehmen in einer großen wirtschaftlichen Notlage befindet. Um die zu überwinden, müssen beide Seiten ihren Beitrag leisten, meint Frankreichs größte und eher reformistische Gewerkschaft CFDT. Als Grundvoraussetzung verlangt sie, dass ein solches Unternehmen vorläufig keine Dividenden an die Aktionäre ausschüttet, sondern den Gewinn komplett reinvestiert. Die radikalere CGT hingegen lehnt jegliche Zugeständnisse an die Arbeitgeberseite ab.
Einig sind sich die Gewerkschaften in der Ablehnung von Erpressungsversuchen durch die Unternehmer, die im Gegenzug zu Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen den Erhalt der Arbeitsplätze in Aussicht stellen. Immer wieder mussten sie erleben, dass solche Zusagen nicht eingehalten wurden und die Arbeitsplätze früher oder später doch verloren gingen. Das eindrucksvollste Beispiel ist die französische Filiale des deutschen Elektrokonzerns Bosch. Dieser hatte ab 2004 mit der Drohung, den Betrieb bei Lyon mit seinen damals 850 Arbeitsplätzen zu schließen und die Produktion nach Osteuropa zu verlagern, eine schrittweise Verlängerung der Arbeitszeit von 35 auf 39 Stunden durchgesetzt. Trotzdem wurde der Betrieb Ende 2017 geschlossen.
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