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Lagarde unter Druck

Rezession im Euroraum, Inflationsrate fast bei null - die EU-Zentralbank weitet ihre Anleihenkäufe aus

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Spannung hatten weltweit Beobachter auf die Sitzung des Leitungsgremiums der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag geblickt, die ausnahmsweise in Amsterdam stattfand. Hat der EZB-Rat noch etwas im Köcher, nachdem die zahlreichen geldpolitischen Maßnahmen der letzten Wochen den Absturz der Wirtschaft im Euroraum in der Coronakrise nicht beenden konnten? Zumal nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe Anfang Mai Zentralbankpräsidentin Christine Lagarde unter erheblichem Druck steht. Vor allem in Deutschland fühlen sich die einflussreichen Kritiker der lockeren Geldpolitik bestätigt. So dankte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank den Richtern, dass sie die »zunehmend entgrenzte Geldpolitik« der EZB in die Schranken gewiesen hätten. Äußerungen aus der Zentralbank ließen aber darauf schließen, dass die Mehrheit des Rates unbeeindruckt von dem Urteil ist.

Und so kam es auch: Die Zentralbank stockt ihre Anleihekäufe im Rahmen des »Pandemie-Notkaufprogramms« (PEPP) um 600 Milliarden Euro auf und verlängert es bis Ende Juni 2021. Das als Antwort auf Corona im März gestartete PEPP umfasste bisher 750 Milliarden Euro und sollte bis Jahresende laufen.

Die Erweiterung ist eine Reaktion auf die zuletzt deutlich nach unten korrigierten Wachstums- und Infla-tionsprognosen. EZB-Chefin Lagarde hatte bereits im Vorfeld mitgeteilt, die Wirtschaft in der Eurozone werde in diesem Jahr um acht bis zwölf Prozent schrumpfen. Für sich genommen, sollte dies die EZB kalt lassen - ihre im Maastrichter Vertrag festgeschriebene Aufgabe ist einzig ein stabiler Euro, definiert als »Preisstabilität«, die bei einer Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent liegt. Eine schrumpfende Wirtschaft birgt jedoch die Gefahr einer Deflation. Und dass fallende Preise für eine Volkswirtschaft genauso gefährlich sein können wie eine galoppierende Inflation, hatte die Deflation 1931 in Deutschland und in den 1990er Jahren in Japan gezeigt.

Die Inflationsrate liegt im Euroraum schon seit Jahren deutlich unter zwei Prozent, im Mai war sie sogar auf 0,1 Prozent gefallen. Um Deflation zu verhindern, scheint PEPP das Instrument der Stunde zu sein, denn es gilt den Befürwortern als praktisch und flexibel. Dabei kauft die EZB Staatsanleihen nicht direkt von Regierungen, sondern auf dem Zweitmarkt von Banken. Da alle Eurostaaten ständig neue Kredite aufnehmen, auch um alte Schulden zu tilgen oder aktuell um die umfangreichen Konjunkturprogramme zu finanzieren, bietet sich hier ein riesiger Markt. Banken erhalten durch die EZB-Käufe frisches Geld. Das erlaubt ihnen, mehr Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu vergeben, was die Wirtschaft und damit die Preise antreiben soll.

Bisher hat die Zentralbank unter PEPP für 235 Milliarden Euro Anleihen gekauft. Ginge sie mit diesem Tempo weiter vor, wären die Mittel bereits im Oktober ausgeschöpft. Eine Aufstockung erschien daher zweckmäßig. Mit Blick auf die kommenden Monate werden die wirtschaftlichen und fiskalischen Probleme, gerade in den Peripheriestaaten der Eurozone, bei weitem nicht gelöst sein. Dem trägt die EZB bereits jetzt Rechnung, auch um »Markterwartungen« zu stabilisieren.

Ziel der Anleihenkäufe darf allerdings nur sein, die Inflationsrate im Euroraum dauerhaft auf knapp zwei Prozent zu erhöhen. Während die EZB wiederholt die positive Wirkung ihrer Maßnahmen hervorgehoben hat, halten sich die Effekte offenbar in Grenzen: So wären etwa im Jahr 2018 laut einer Schätzung die Preise ohne die Anleihenkäufe um 1,6 statt um 1,8 Prozent gestiegen.

Und wie ist es mit möglichen negativen Nebenwirkungen der Maßnahmen? Das Bundesverfassungsgericht hatte ja bemängelt, die EZB habe die Verhältnismäßigkeit ihrer früheren Anleihenkäufe in der Eurokrise nicht untersucht. Die Bonner Finanzökonomin Isabel Schnabel, die dem EZB-Direktorium angehört, weist dies scharf zurück. Man habe sehr wohl mögliche Nebenwirkungen wie die vermeintliche Enteignung des Sparers durch Niedrigzinsen analysiert. »Viele der häufig geäußerten Befürchtungen beruhen auf Halbwahrheiten und falschen Narrativen«, so Schnabel. Überzogene Kritik an der EZB sei zudem gefährlich, weil sie den Zusammenhalt in Europa bedrohe.

»Wir brauchen die Unabhängigkeit der Zentralbank, damit Geldpolitik nicht zum Spielball des täglichen politischen Geschäfts wird«, sprangen namhafte Ökonomen unterschiedlichster Schulen wie Peter Bofinger, Martin Hellwig und Michael Hüther den EZB-Kollegen bei. »Aus demselben Grund brauchen wir auch die Ausschließlichkeit des Preisstabilitätsmandats.« Die Forderung des Verfassungsgerichts, die Bundesregierung müsse die EZB oder die Bundesbank zwingen, alle möglichen Folgen prüfen, untergrabe beides.

Zentralbankchefin Lagarde hatte ohnehin erklärt, die EZB lasse sich von dem Urteil nicht beeinflussen. Die gestrigen Entscheidungen machten dies noch einmal deutlich.

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