Nicht in meinem Garten

In Tempelhof-Schöneberg wehren sich Anwohner dagegen, dass eine Kleingartenanlage einem Schulbau weichen soll

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

Dirk Tonn ist sauer. »Ich verstehe unsere Bezirkspolitiker einfach nicht«, schimpft er. »Wie kann man nur auf die Idee kommen, eine solch schöne innerstädtische Grünanlage zu zerstören?« Tonn ist seit mehr als 30 Jahren Anwohner im Kiez um die Marienhöhe in Tempelhof. Aus den Fenstern seiner Wohnung hat der Berliner einen freien Blick auf den Park, dessen hügeliges Gelände zu einer Grundmoräne aus der letzten Eiszeit gehört. »Gerade in der Coronakrise ist die Marienhöhe ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Menschen im Viertel«, sagt der Mitbegründer der Bürgerinitiative Marienhöhe, die sich für einen Erhalt des Parks in seiner aktuellen Form einsetzt. »Wenn der Bezirk mit seinen Bauplänen für das Areal ernst macht, ist es mit Ruhe und Erholung vorbei.«

Tatsächlich hat das Bezirksamt von Tempelhof-Schöneberg sein Augenmerk auf die Grünanlage gerichtet, genauer gesagt, auf das am Nordende des Parks liegende Gelände der Kleingartenkolonie Eschenallee. Die Laubenpieperparzellen sollen nach den Bezirksplänen einem Schulneubau weichen. Zunächst will man dort einen temporären Schulbau mit sogenannten fliegenden Klassenzimmern errichten. Später soll es ein regulärer Standort für eine Grundschule werden. Zudem ist südwestlich der Marienhöhe auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände zwischen Attila- und Röblingstraße bis auf Höhe des Friedhofs St. Matthias ein Großbauprojekt mit Wohn- und Gewerbeeinheiten in Planung.

»Als Anwohner und Laubenpieper haben wir uns in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen, um uns gegen den unsinnigen Abriss der Kleingartenkolonie Eschenallee und die kurzsichtigen Pläne des Bezirksamts zu wehren«, sagt Tonn. Man sei keinesfalls gegen neue Schulplätze. Die brauche man dringend. Aber: »Das Areal der Marienhöhe ist für das Vorhaben ungeeignet.« Denn nach seiner Ansicht ist das Gelände, auf dem bis jetzt die Kleingartenkolonie steht, entscheidend für ein gutes Stadtklima. Die umliegenden Straßen seien dem Verkehrsdruck durch eine neue Schule nicht gewachsen, so Tonn. Zudem sei die Höhenlage des Parks für eine Schule fatal, da das Gebäude bei Starkregen volllaufen könne. »Der Bezirk muss nach alternativen Schulstandorten suchen«, fordert er.

Bezirksbaustadtrat Jörn Oltmann (Grüne) schüttelt den Kopf. »Ich verstehe ja, dass die Anwohner und Kleingärtner nach Alternativstandorten suchen möchten«, sagt er. »Nur die sehen wir nicht.« Man stehe in Tempelhof-Schöneberg mit Blick auf die Schaffung neuer Schulplätze vor einer enormen Herausforderung, sagt der Grünen-Politiker. Sein Kollege, Schulstadtrat Oliver Schworck (SPD), hat ausgerechnet, dass für das Schuljahr 2021/2022 im Bezirk fast 2800 Schulplätze fehlen. Wo es geht, setzt man auf Verdichtung. »Die freien Flächen, auf die wir als Land Berlin direkten Zugriff haben, sind rar«, sagt Oltmann. So gebe es derzeit neun landeseigene Flächen im Bezirk, für die Baurecht besteht. Auf acht dieser Flächen stehen Kleingartenanlagen. »Als Grüner Stadtrat kann ich mir wirklich etwas Besseres vorstellen, als Kleingartenkolonien zu bebauen«, sagt der Politiker. »Doch leider zwingt uns die gegenwärtige Situation im Bezirk dazu, diese Areale für den Bau von neuen Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern in Erwägung zu ziehen.«

Zur Beruhigung der Parzellennutzer der Kolonie Eschenallee gibt Oltmann zu bedenken, dass der Zeitplan für das Bauprojekt noch nicht feststeht. Man werde höchstwahrscheinlich erst 2021 die Kündigungen aussprechen, damit der Bau 2022 beginnen könne. »Wer als Kleingärtner dann weitermachen möchte, bekommt eine Ersatzparzelle im Bezirk zugewiesen«, versichert er.

Der Baustadtrat sucht das Gespräch mit der Bürgerinitiative. Ein bereits geplantes Dialogtreffen im März musste wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Ein Neuanlauf - nun per Videokonferenz - ist für den 30. Juni geplant. »Wenn die Bürgerinitiative mir Alternativstandorte für die Schule mit Hand und Fuß vorlegt, prüfe ich diese«, so Oltmann.

Anwohner Tonn hat schon eine Liste mit aus seiner Sicht idealen Standorten erarbeitet. Er ist skeptisch. Das Gespräch mit Oltmann wolle er zwar führen. »Aber er muss mir dann auch versichern, dass der Bezirk nicht die Coronakrise nutzt, um an Ort und Stelle mit der Kettensäge Tatsachen zu schaffen.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!