Kein »Wumms« bei der Mobilität
Olaf Bandt beklagt die Leerstellen im gewaltigen Konjunkturpaket der Bundesregierung
Erst Milliarden von Euro für die Lufthansa, jetzt zusätzliche Milliarden für den Kauf von Autos mit Elektro- oder Plug-in-Hybrid-Antrieb - immerhin ist die Autolobby mit dem Versuch gescheitert, der Koalition eine Abwrackprämie in ihr Konjunkturpaket zu schreiben. Aber über die Plug-in-Hybride, die wegen ihrer geschönten Werte aus klimapolitischer Sicht getarnte CO2-Schleudern sind, und die niedrigere Mehrwertsteuer kriegen auch die Auto-Ministerpräsidenten Söder & Co ihr Stück vom Kuchen.
In Sachen Mobilität ist das Zukunfts- und Konjunkturpaket insgesamt eine Enttäuschung. Nach zähem Ringen hat sich die Koalition auf eine Politik von gestern geeinigt, die Schuldenberge von morgen anhäuft. Das ist kein »Wumms«, wie Finanzminister Olaf Scholz (SPD) das Konjunkturpaket zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie beschrieb - es sei denn, man denkt dabei an einen Auffahrunfall. Alle Kritik von Umweltverbänden, Wissenschaft, Sozialverbänden und Teilen der Politik - sogar vom Wirtschaftsflügel der CDU - scheint an der Regierung sowie den Auto-Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern abzuprallen. Maßnahmen zur Steigerung der Verkäufe privater, hochpreisiger Autos sind nicht nur sozial ungerecht, sondern auch wirtschaftlich unsinnig.
Sozial ungerecht, weil die gesamte Bevölkerung mit Steuergeldern für Unternehmen aufkommt, die - im Falle der Autokonzerne - auf Rücklagen in Milliardenhöhe sitzen. Gleichzeitig zahlen diese Konzerne dieses Jahr 5,8 Milliarden Euro Dividenden, die zu einem großen Teil auf den Konten von Großaktionären wie den Familien Quandt, Klatten, Porsche, Piëch oder dem Land Niedersachsen landen. Die hochsubventionierte Lufthansa versteckt derweil Teile ihres Gelds in Steueroasen.
Ökologisch und nachhaltig gesehen unsinnig, da hier in rückwärtsgewandte Branchen investiert wird, die keinen oder zumindest kaum einen Beitrag für eine Mobilitätswende oder zumindest der Energiewende im Verkehr leisten. Stattdessen haben sie nur eigene Profitinteressen im Blick. Wird dies angeprangert, verweisen die Konzernspitzen gern auf die Sicherung von Arbeitsplätzen. Sicherlich ist es für die Menschen, die in Automobil- und Luftfahrtindustrie arbeiten, wichtig, dass möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben. Trotzdem verschleiert diese Taktik, dass vor allem in der Automobilbranche Umbrüche unumgänglich sind. Innovationen sind notwendig, nicht der Verkauf alter Benziner und Diesel, auch nicht im Gewand vermeintlich umweltfreundlicher Plug-in-Hybride. Wollen wir den Planeten erhalten, werden wir unser Mobilitätsverhalten ändern und eine Konversionsstrategie für die Automobilwirtschaft zur Sicherung der Industriearbeitsplätze entwickeln müssen.
Krisen bieten auch Chancen - im Verkehrsbereich heißt das: bessere Luft in Städten, (kurzfristig) weniger CO2-Emissionen und etwas mehr Platz für Radfahrende und Fußgänger - zumindest in Berlin und anderen großen Städten weltweit. Die Krise hat auch gezeigt: Der öffentliche Verkehr und die Bahn haben ihre soziale Verantwortung wahrgenommen und sind trotz Einbußen weitergefahren. Doch die Zukunft vor allem für private Anbieter, aber auch für den kommunalen öffentlichen Verkehr ist unklar.
Auch die wenigen Radwege, die plötzlich in Signalgelb auf manchen Straßen aufgetaucht sind, sehen im Vergleich zu den Milliarden für die Industrie recht ärmlich aus. In der Krise zeigt sich noch deutlicher, wie absurd die Platzverteilung in Städten ist: Wenn sich Menschen auf einem ein Meter breiten Fußweg mit einem Abstand von eineinhalb bis zwei Metern aneinander vorbei bewegen sollen, zeigt das nur allzu deutlich, wie dringend notwendig die Verkehrswende ist. Denn diejenigen, die umweltfreundlich unterwegs sind, müssen bislang sehen, wo sie bleiben.
Stattdessen fließt viel Geld in die »Schlüsselindustrien« wie die Auto- und Luftfahrtindustrie, die aber eben nur eine kleine Rolle bei der zukünftigen Mobilität spielen - es sei denn, sie starten endlich durch und zeigen, dass sie einen Umbau vorantreiben. Dass es auch anders geht und Regierungen staatliche Gelder an Bedingungen knüpfen, zeigen europäische Beispiele: Die französische Fluglinie Air France wird staatlich unterstützt, muss dafür aber etliche Kurzstrecken stilllegen. Und das aus gutem Grund: Der Staat hat ein Recht und eine Pflicht, Steuergeld nachhaltig und langfristig zu investieren.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.