- Politik
- Nikolai Miklucho-Maclay
Ein Mensch ist ein Mensch
Nikolai Miklucho-Maclay widerlegte ab 1871 die rassistischen Thesen seines Lehrers Ernst Haeckel. Seine Arbeit kennt hierzulande kaum jemand.
Die europäischen Kolonialmächte waren auf die wissenschaftlich nachgewiesene Differenz zwischen europäischen und afrikanischen Menschen angewiesen. So schätzt es heute die Kolonialhistorikerin Ulrike Hamann ein. »Das koloniale Regime benötigte eine feststellbare Grenze zwischen denen, die Macht ausüben, und denen, die unterworfen werden.« Dabei griff die Sozialanthropologie, so Hamann, die Thesen der »Rasse«-Theoretiker besonders umfassend auf und unterfütterte sie mit empirischen Daten. So wurde um 1900 ein Wissen generiert, dass wichtig war für den kolonialen Machterhalt: Es stellte die Ideologie der weißen Überlegenheit auf scheinbar »objektive« Füße und legitimierte so den Kolonialismus auch in den Gesellschaften des Nordens neu.
Ein prominenter Vertreter dieser hierarchischen Gliederung menschlicher »Rassen« in Deutschland war der Jenaer Biologe Ernst Haeckel. Von seinem Schreibtisch aus beschrieb er das äußere Erscheinungsbild von Menschen aller Kontinente, ohne sie je getroffen zu haben, und ordnete ihnen eine Hierarchie im menschlichen Stammbaum zu. Auf diese Weise wollte er die Entwicklung der menschlichen »Rasse« erklären - rein spekulativ.
Weniger bekannt ist, dass bereits ein Zeitgenosse Haeckels dessen rassistisches Menschenbild wissenschaftlich widerlegt hat: der 1846 in Russland geborene Naturforscher Nikolai Nikolajevich Miklucho. Dessen Schaffen und Wirken ist Gegenstand einer aktuellen Forschungsarbeit der Biologen Uwe Hoßfeld und Georgy S. Levit an der Universität Jena. In die thüringische Stadt kam Miklucho über Umwege. Als Gymnasiast in St. Petersburg nahm er 1861 an regierungskritischen Studentenprotesten teil und wurde verhaftet. Zwei Jahre später musste er aus unbekannten Gründen das Gymnasium verlassen. Auch der Universität, in der er sich als Gasthörer für Physik und Mathematik eingeschrieben hatte, wurde er verwiesen, wie es heißt, aufgrund der Verletzung der Universitätsregeln. Beides wird von der heutigen Forschung als eine politische Repression Mikluchos gewertet.
Schließlich kam er 1864 nach Deutschland, studierte zunächst in Heidelberg und Leipzig und ab 1865 in Jena, wo er Haeckels Vorlesungen zu Zoologie und Anatomie besuchte und zeitweise sein Assistent wurde. In dieser Zeit begann er, sich Nikolai Miklucho-Maclay zu nennen. In seinem Nachlass befinden sich zahlreiche Aufzeichnungen der Vorlesungen und Tafelbilder Haeckels und seines Kollegen Carl Gegenbaurs aus den Jahren 1865 und 1866, die erstmalig einen detaillierten Einblick in die Lehre dieser Zeit geben; sie werden im Herbst veröffentlicht.
»Haeckel war ein naturalistischer Rassist«, so Hoßfeld, »er wendete seine Methode der Biologie der wirbellosen Tiere auch auf den Menschen an.« Haeckel ging davon aus, dass die Menschheit aus zwölf koexistierenden, hierarchisch angeordneten Spezies bestehe, mit den europäischen Menschen an der Spitze. Entscheidend für Haeckels Hypothesen der unterschiedlichen Entwicklungsstufen waren Haarstruktur sowie Sprache und Kultur. Miklucho-Maclay ging zwar auch von unterschiedlichen »Rassen« aus, widersprach aber einer hierarchischen Anordnung.
1869 ging er zurück nach Russland, bevor er 1871 zum ersten Mal nach Papua Neuguinea reiste, um mit jenen Menschen zu arbeiten, die Haeckel auf der niedrigsten Stufe seines phylogenetischen Stammbaumes angeordnet hatte. Zur selben Zeit brach er den Kontakt zu seinem Lehrer ab. Die Wissenschaftler vermuten, dass dies durch den fachlichen Dissens der beiden begründet war. Miklucho-Maclay verabschiedete sich zwar von Haeckel und dessen wissenschaftlichen Vorannahmen, nicht aber von seiner Methode der Beobachtung.
Bis 1877 unternahm er mehrere Reisen nach Papua Neuguinea. Er lebte dort zusammen mit den Menschen vor Ort, erlernte deren Sprache - die Haeckel wie deren Haarwuchs als Beleg für ihre Minderwertigkeit angeführt hatte - und ging mit ihnen gemeinsam auf die Jagd. Er nutzte dabei die anthropologischen Methoden der Beobachtung, vermaß die Körper der Papua bis hin zu einem erigierten Penis und schickte Gehirne Verstorbener zu dem pathologischen Anatomen Rudolf Virchow nach Berlin.
Aus heutiger Sicht muss man sich fragen, ob er dafür die Erlaubnis der Hinterbliebenen hatte und auch sein Forschungsansatz an sich erscheint moralisch fragwürdig. Doch seine Ergebnisse waren eindeutig: Es handelte sich bei den Papua um Menschen - nicht wie Haeckel dachte, um eine Vorstufe. Und er bewies so, dass es die von Haeckel angenommene Hierarchie von Menschen nicht gibt.
Miklucho-Maclay wies eine Diskriminierung aufgrund der Haarstruktur oder der Hautfarbe bereits zurück, bevor diese in der Wende zum 20. Jahrhundert systematisiert wurde, um die Kolonisierung des afrikanischen Kontinents zu rechtfertigen. Und er plante 1881, die Selbstverwaltung der Papuas in Räten zu organisieren, um gegen die Kolonisierung durch europäische Mächte vorzugehen.
Sich selbst sah er dabei als Berater. Sein Zeitgenosse Lew Tolstoi schrieb über ihn: »Du warst der Erste, der aus eigener Erfahrung unmissverständlich demonstrierte, dass ein Mensch überall Mensch ist.« Doch obwohl Miklucho-Maclay zu Lebzeiten bekannt war und sein Werk in anerkannten Journalen publiziert wurde, fand seine Arbeit, wohl auch durch seinen frühen Tod 1888, keinen Einzug in den wissenschaftlichen Kanon und wurde in Europa kaum rezipiert.
Auch wenn wir heute wissen, dass Miklucho-Maclay mit seinen Forschungsergebnissen der Wahrheit näher kam als sein Lehrer, sollten Politik und Öffentlichkeit des kommenden Jahrhunderts vom Rassismus Haeckel’scher Art bestimmt werden. Die wissenschaftliche Kategorisierung bestimmter Menschen als »minderwertig« konnte im Extremfall deren Ermordung legitimieren. Und tut dies bis heute.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!