- Wirtschaft und Umwelt
- Küstenfischer im Mittelmeer
Zugemüllter Ozean
Europas Industrie gefährdet Küstenfischer im Mittelmeer
Unser Planet ist blau. Meere bedecken rund 70 Prozent der Erdoberfläche. Marine Ökosysteme sind daher grundlegend für Klima, Biodiversität und für Arbeitsplätze. Pünktlich zum »Tag des Meeres«, der diesen Montag weltweit begangen wird, wollte die Ozeankonferenz der Vereinten Nationen neue Ziele zum Schutz der Weltmeere abstecken.
Dann kam Corona und die Konferenz in Lissabon wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Dennoch stehen 2020 zahlreiche wichtige internationale, europäische und nationale Entscheidungen an, die maßgeblich für eine andere Meerespolitik sein können und müssen. Das fordert »Meeresoffensive 2020«, in der sich 16 Organisationen in Deutschland zusammengeschlossen haben, darunter BUND, Slow Food und Schutzstation Wattenmeer. Doch während in der Bundesrepublik der Fokus auf Küstenumweltschutz oder Fischereirechte in der Ostsee liegt, gilt europaweit das Mittelmeer als Ökohotspot.
Das relativ kleine Mittelmeer ist heutzutage das am stärksten überfischte Meer der Welt. Gründe sind der ständig steigende Nahrungsbedarf und die Vernichtung großer Fangmengen an Meeresfrüchten, die für »den Markt« ungeeignet erscheinen. Das geht aus einer 2019 veröffentlichten Studie des Wissenschaftlichen Fischerei-Ausschusses der EU hervor. Nach der reformierten »Gemeinsamen Fischereipolitik«, die vor fünf Jahren in Kraft trat und die - im Unterschied zu ihren Vorgängern - auf wissenschaftlich erhobenen Daten basiert, soll bis 2025 das Mittelmeer nachhaltig bewirtschaftet werden.
Dieses Ziel wird von Umweltschutzverbänden durchaus als ehrgeizig eingeschätzt: Die konkreten Vorgaben aus Brüssel gelten ihnen eher als lax, Kontrollen als schwach. Hinzu kommt, dass nur ein kleinerer Teil des Mittelmeeres zur unmittelbar beinflussbaren 200-Meilen-Zone Europas gehört. Die sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) reicht nämlich lediglich bis zu 200 Seemeilen (370,4 km) ins Meer hinaus. Ab da beginnt die »hohe See«, die allen und daher keinem gehört - und dort gelten kaum Umweltregeln. Derweil schlagen sich die südlichen und östlichen Anrainerländer des »Weißen Meeres« seit dem Scheitern des Arabischen Frühlings mit anderen Problemen als Meeresschutz und Fischereibegrenzungen herum.
Das wirtschaftlich gewichtigste Problem ist allerdings ein Gegensatz, der lange auch in Nord- und Ostsee zu krachenden Konflikten führte. Einerseits bevölkern industrielle Fischereiflotten hauptsächlich das westliche Mittelmeer. Sie kommen aus Italien, Frankreich und Spanien und versorgen auch deutsche Konsumenten mit Tintenfischringen und Doraden zum Grillen. Anderseits ist die schmackhafte Beute Lebensgrundlage für Abertausende Klein- und Küstenfischer. Deren Lebensgrundlage wird zudem durch Plastikmüll gefährdet. Auch hier ist das Mittelmeer, nach einer Studie des WWF, im Vergleich zu anderen Meeren überdurchschnittlich betroffen. 800 Tierarten sollen durch Plastik bedroht sein - darunter Meeresschildkröten, Meeressäuger und Seevögel.
In der Mehrzahl der Mittelmeerländer gibt es keine flächendeckende öffentliche Müllbeseitigung, und es mangelt den Bürgern an Sensibilität für die Gefahren, die von Kunststoffen im Wasser ausgehen. Der Weg des Plastiks von menschlicher Nutzung in die Meere startet übrigens auch in Industrienationen wie Deutschland. Zusätzlich zur Verschmutzung durch Plastik kommt die Überdüngung des Mittelmeeres durch Phosphor und Stickstoff, die von Feldern ins Meer geschwemmt werden. Heikel ist auch das wachsende Interesse an Öl- und Gasquellen, vor allem im östlichen Mittelmeer. Aber auch vor EU-Küsten, vornehmlich Italiens, werden fossile Brennstoffe gefördert und nach neuen Quellen gesucht.
Jean-Pierre Gattuso, Forschungsdirektor an der Sorbonne-Universität in Paris, warnt allerdings vor Schwarzmalerei. An der Mittelmeerküste gebe es, wie an anderen Küsten, sehr viele private und öffentliche Projekte, um Biodiversität zu erhalten oder wieder herzustellen, berichtete Gattuso während einer Pressekonferenz des internationalen Forschungsinstituts IDDRI vergangenen Dienstag, die online übertragen wurde. Der »Wiederaufbau des marinen Lebens« gehe in solchen Projekten oft erstaunlich schnell vonstatten.
Einen verhaltenen Optimismus verbreitet ebenfalls die EU-Kommission. Im Rahmen des »Green Deals« von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen legte sie Ende Mai zwei Strategiepapiere zur Biodiversität vor. Danach sollen mindestens 30 Prozent der Meeresgebiete in Schutzgebiete umgewandelt werden.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will zudem die hohe See besser schützen. Deutschland will dazu, wie ein Dutzend weiterer Staaten, ein international rechtsverbindliches Schutzabkommen in den Vereinten Nationen durchsetzen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.