Das Ende der Superlative

Die Corona-Pandemie könnte nicht nur in Tokio zu verschlankten Olympischen Spielen führen

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir hoffen, dass Regierung und Organisationskomitee zusammenarbeiten, um sich anzusehen, was rationalisiert werden kann.« Diesen Satz, der Ende vergangener Woche in Bezug auf die Olympischen Spiele von Tokio fiel, hätte man von Aktivisten, dem Steuerzahlerbund oder Oppositionspolitikern erwartet. Ausgesprochen hat ihn aber Yuriko Koike, die Oberbürgermeisterin der japanischen Hauptstadt. Die 67-Jährige fügte noch hinzu: »Dies wird nötig sein, damit wir die Sympathie und das Verständnis der Öffentlichkeit gewinnen.«

Über Jahrzehnte haben sich Organisatoren Olympischer Spiele eher für Steigerungen interessiert als für Reduktionen. Das Motto »Höher, schneller, weiter« galt nicht nur für Wettkampfleistungen, sondern auch für die zu vergebenden Medaillen, die Anzahl teilnehmender Athleten, den Andrang von Zuschauern aus aller Welt und zuletzt, notgedrungen, für die dafür eingesetzten finanziellen Ressourcen. Ohne neue Superlative war Olympia lange nicht vorstellbar.

Die Coronakrise könnte nun auch diese Entwicklung beeinflussen. Tokios Olympiasprecher, Masa Takaya, bezeichnete diese Woche die Antwort auf das Coronavirus als »die größte Herausforderung« für die Organisatoren. Und um Spiele veranstalten zu können, bei denen es keine neuen Infektionsausbrüche gibt, lautet die neue Idee offenbar Verkleinerung.

Konkretisiert ist diese Vorgehensweise zwar noch nicht, so viel aber scheint als Richtung vorgegeben: Nicht nur sollen Athleten während Olympia regelmäßig auf das Virus getestet werden und zudem in ihrer Unterkunft im Olympischen Dorf Ausgangsbeschränkungen unterliegen. Auch Mitarbeiter, freiwillige Helfer und Zuschauer sollen sich auf die Krankheit testen lassen. Das Publikum vor Ort soll zudem deutlich reduziert werden, damit Infektionen vorgebeugt werde. Außerdem sollen Eröffnungs- und Abschlussfeiern von Olympia und Paralympics verschlankt werden.

Diese Töne klingen nicht nur im gesamtolympischen Kontext neu. Auch in Tokio hat man sich bisher wenig bescheiden gezeigt. Premierminister Shinzo Abe beteuerte noch im Frühjahr, kurz nachdem die Olympischen Spiele von diesem aufs nächste Jahr verschoben worden waren, dass »Tokyo 2020« entweder in vollem Umfang oder gar nicht stattfinden werde. Irgendwelche Kompromisse mache er nicht mit.

In der Tat fielen die Organisatoren bisher eher durch vollmundige Ankündigungen auf, von denen sich später nur wenig bewahrheitete. Die Behauptung etwa, dass für »Tokyo 2020« kein Steuergeld verwendet werden würde, stellte sich schnell als bloße Zahlenschieberei heraus. Auch das Banner der Nachhaltigkeit, das man gern vor sich hertrug, hielt längst nicht alles, was es versprach. Für die Herstellung von Wasserstoff, der für das Olympiagelände als Treibstoff eingesetzt werden soll, müssen noch über Jahre reichlich fossile Brennstoffe eingesetzt werden. Auch die Rede von den »futuristischsten Spielen aller Zeiten« ist fast bedeutungsleer, werden im Zuge von Olympia doch immer technologische Innovationen präsentiert.

Mit der Idee der reduzierten Olympia-Auflage könnte »Tokyo 2020« nun aber tatsächlich wegweisend werden. Gelingt es, den ständigen Expansionsdrang der weltweiten größten Sportveranstaltung nicht nur aufzuhalten, sondern umzukehren, so gingen die Spiele von Tokio womöglich auf neue Weise in die Geschichtsbücher ein. Eine beschränkte Zuschauerzahl wäre ein Weg, auf dem man für künftige Olympische Spiele geringere Investitionssummen beim Bau von Stadien erreichen könnte. Das würde Geld sparen, und die Bürger des Austragungsortes würden nicht noch Jahrzehnte auf Schulden sitzen bleiben.

Dass Bürgermeisterin Koike das Verständnis der Öffentlichkeit für die Austragung des Sportevents erwähnte, ist wohl auch dem geschuldet, dass in Japan zuletzt vereinzelt sogar Forderungen aufkamen, dass ein Referendum über die Spiele ausgetragen werden solle. Dazu hat sich unter den Offiziellen allerdings noch niemand geäußert.

Ob die Spiele - schlank oder fett - im Zuge der Pandemie überhaupt stattfinden, ist weiter ungewiss. Nach einer Konferenz der Organisatoren und des Internationalen Olympischen Komitees am Freitag hieß es, die finale Entscheidung über die Austragung werde erst im Frühjahr 2021 getroffen.

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