Sperrstunde ade!

Wie haben die Kneipenbesitzer die Schließung erlebt, und wie geht es jetzt für sie weiter? Alles wieder normal - oder nichts mehr so wie früher?

  • Robert Putzbach
  • Lesedauer: 6 Min.

Am 14. März mussten Raucherlokale und Bars in Berlin von einem auf den anderen Tag schließen. Monatelang blieben die Türen zu. Viele Inhaber von Kiezkneipen, für die Berlin bekannt ist, stellt das vor Probleme: Die meisten haben kaum Rücklagen gebildet, Mieten und Gebühren laufen aber weiter. Dabei sind Kneipen für die Kiezbewohner ein wichtiger Treffpunkt. Hier bekommen sie nicht nur kalte Getränke, sondern vor allem Trost und Rat. Viele schätzen die Geselligkeit an den Stammtischen - eine willkommene Abwechslung von der Anonymität der Großstadt. Gerade ältere Alleinstehende betrachten die Kneipen als ihr Wohnzimmer. In den letzten Jahren hat sich auch die jüngere Generation auf die Kneipenkultur zurückbesonnen. Die urigen Lokale bieten eine gemütliche Alternative zu den teuren oder exklusiven Clubs. In einer typischen Berliner Eckkneipe mischt sich zu später Stunde die Klientel.

Ab 2. Juni durften Kneipen wieder öffnen, zunächst nur bis 23 Uhr. Für viele war das nicht wirtschaftlich. Nachdem ein Berliner Wirt gegen die Sperrstunde geklagt hatte, gab der Senat die Öffnungszeiten frei, bevor das Gericht die Regelung kippen konnte. Seit diesem Mittwoch gibt es keine Sperrstunde mehr.

Wie haben die Kneipenbesitzer die Schließung erlebt, und wie geht es jetzt für sie weiter? Alles wieder normal - oder nichts mehr so wie früher?

Christian Möbius
Christian Möbius

Christian Möbius wurde durch die Corona-Pandemie komplett aus der Bahn geworfen. Erst am 18. Februar hatte er die »Dennewitzklause« in Schöneberg übernommen. Hauptberuflich ist Christian seit zwanzig Jahren in der Pflege tätig. Er wollte seine Stunden reduzieren, um seinen Traum von einer eigenen Gastwirtschaft zu verwirklichen. Doch mit der Kneipenschließung Mitte März kam alles anders. Seitdem musste der Intensivpfleger Doppelschichten im Krankenhaus schieben, um die fehlenden Umsätze der Kneipe auszugleichen und die Kosten zu decken. »Ein schlechteres Timing hätte es nicht geben können«, sagt er.

Während der Schließung war die Lage oft unübersichtlich, gesetzliche Veränderungen kamen oft ebenso überraschend wie die plötzliche Schließung. Geholfen hat ihm dabei ein Mitarbeiter des Gewerbeamtes, der stets erreichbar. Die »Dennewitzklause« hat der frischgebackene Wirt während der Schließung ein wenig renoviert, Türen und Fenster neu gestrichen. »Das hat mir das Gefühl gegeben, dass es irgendwie vorangeht«, sagt Christian Möbius.

Im »Musik Café Z« auf der Mierendorff-Insel in Charlottenburg-Wilmersdorf bedient der Inhaber seine Gäste selbst. Mirko Sejak steht sieben Tage die Woche hinter dem Tresen: ein Ein-Mann-Unternehmen. Nur seine Mutter hilft ihm gelegentlich beim Putzen und bei Aufräumarbeiten. Vermutlich nirgendwo sind Privatleben und Arbeit so eng verschmolzen wie bei Sejak, der sich als Fulltime-Gastronom bezeichnet. Er wohnt direkt über der Bar und ist für seine Gäste immer erreichbar. Seine Getränkekarte hat die Maße einer Zeitung: Im Angebot sind über 1100 verschiedene Spirituosen. Die meisten davon hat er jedoch noch nie probiert – er selbst trinkt keinen Alkohol. Durch die coronabedingte Schließung hatte der gebürtige Serbe mehr Zeit, seinen Hobbys nachzugehen: Mirko joggt Hunderte Kilometer in der Woche, die Zeiten notiert er sich in einem kleinen Notizblock.

Mirko Sejak
Mirko Sejak

Vor einigen Wochen hat er dann noch Urlaub im Schwarzwald gemacht. »Wandern«, sagt Mirko, »das ist richtige Erholung in der Natur!« Im gesamten letzten Jahr hatte er nur acht freie Tage. Über zwei Monate Stillstand waren für ihn also etwas völlig Neues: »So viel Erholung hatte ich seit 1992 nicht mehr.« Das war das Jahr, in dem er das »Musik Café Z« übernommen hat. Seit der Wiedereröffnung läuft das Geschäft allerdings nur schleppend an. »Es kommen zwar vereinzelt Gäste« sagt Mirko, »doch das richtige Feeling kommt einfach nicht auf.« Derzeit reichen die Einnahmen nicht einmal aus, um die Fixkosten zu decken.

"Laika"-Kollektiv
"Laika"-Kollektiv

Das »Laika« wird von einem Kollektiv betrieben, fünf Personen schmeißen den Laden in Neukölln gemeinsam. Seit über zehn Jahren kommen vor allem Studenten und Kiezbewohner auf einen Drink vorbei. Die überraschende Schließung hat das junge Team vor neue Herausforderungen gestellt. Für einige sind die Bar-Schichten nur ein Nebenverdienst. Andere studieren noch – für sie brach die einzige Einnahmequelle weg. Die Schließung hat das Kollektiv für Renovierungsarbeiten genutzt, der Boden wurde lackiert, Türen abgebeizt. Die Wiedereröffnung kam gerade rechtzeitig: Im Keller stehen mehrere Bierfässer, die bald abgelaufen wären. Wegen der Hygienevorschriften hat das »Laika« nun mehr Arbeit und einen höheren Personalaufwand. Aber die Umsätze fehlen, da die Leute lieber zu Hause bleiben. »Wenn wir Geld machen wollen, müssten wir die Bierpreise um 50 Prozent erhöhen«, sagt Kollektivmitglied Hauke.

Manuela Liebscher ist seit 25 Jahren stolze Inhaberin des »Charlottenburger Wappens«. Für eine Kneipe brauche man Durchhaltevermögen, sagt sie, und wenn sie als alleinerziehende Mutter aus Ostberlin etwas habe, dann das. Als sie am 14. März einen Anruf von ihrem Automatenaufsteller bekam, dass die Polizei die Kneipen schließt, bat sie ihre Gäste samt Geburtstagsgesellschaft einer Stammkundin vor die Tür, auf unbestimmte Zeit. Das Bier in den angebrochenen Fässer ist mittlerweile schal geworden. Zu den Stammkunden hat sie trotz Schließung engen Kontakt gehalten, viele haben ihre Nummer und fragen nach, was es Neues gibt.

Einige haben die Zwangspause dazu genutzt, ihr »Wohnzimmer« neu zu streichen. »Die haben heimlich eine dunklere Farbe gekauft«, lacht Manuela. Die beantragte Corona-Soforthilfe reichte aus, um drei Monate lang die Kosten zu decken. Geholfen hat auch die Initiative kneipenretter.org, wo Stammkunden für den Erhalt ihrer Lieblingskneipe spenden. Mithilfe einer alten Speisekonzession konnte die gelernte Köchin das »Wappen« bereits Ende Mai wieder eröffnen. Die Abstandsregeln sind für die Gäste kein Problem. »Zumindest bis zum sechsten Bier begreifen sie es«, sagt Manuela Liebscher schmunzelnd.

Manuel Hanke betreibt das »Berlinchen« im Ortsteil Friedenau. Er hat die Kneipe erst im Dezember übernommen und hatte eigentlich große Pläne, die er gemeinsam mit seinem Angestellten Marek verwirklichen wollte. Nach der Schließung Mitte März erhielt er viele Nachrichten von Stammkunden, die teilweise schon über 20 Jahre in die Kneipe kommen. »Die saßen alle zu Hause und hatten Hummeln im Arsch!« sagt er. Während des Lockdowns hat Manuel sich die Lage mit dem gegenüberliegenden Park zu Nutze gemacht und einen To-go-Verkauf eingerichtet, so dass die Gäste im Freien kühles Fassbier genießen können.

»Das wirft natürlich nicht mal ansatzweise so viel ab wie ein guter Kneipenabend, doch zumindest hat es mir das Gefühl gegeben, dass es wieder vorangeht«, sagt Manuel. Nach der Wiedereröffnung ist das Geschäft gut angelaufen, besonders die Tische im kleinen Biergarten sind immer besetzt. Am letzten Wochenende gab es zwei feuchtfröhliche Geburtstagspartys – blöd nur, dass Manuel Hanke die Gäste um 23 Uhr vor die Tür setzen musste. Um diese Uhrzeit gehe es im »Berlinchen« sonst erst richtig rund. Umso mehr freut er sich, dass die Sperrstunde nun auch gefallen ist.

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