- Berlin
- Polizeigesetz
Die Lizenz zum Abhören
Neues Polizeigesetz von Rot-Rot-Grün weitet Befugnisse zur Telefonüberwachung massiv aus
Rot-Rot-Grün geht in den Gesetzes-Marathon: Nach dem Antidiskriminierungsgesetz, dem Gesetz zur Versammlungsfreiheit und dem Entwurf zum Polizeibeauftragten kommt nun der nächste innenpolitische Streich. »Wir sehen uns ja jetzt öfters«, witzelt Innensenator Andreas Geisel (SPD), als er am Montagmorgen im Abgeordnetenhaus das langersehnte Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) vorstellt. Dieses ist seinem Urteils nach »modern« und »macht die Polizei handlungsfähig«.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, lobt dann auch die »umfassende Änderung des Gesetzes«. Dass diese im Gegensatz zu anderen Bundesländern kaum von bürgerrechtlichem Protest begleitet wurde, liegt laut Innenpolitiker Niklas Schrader (Linke) auch daran, dass der Gesetzesentwurf nicht nur eine Ausweitung von polizeilichen Befugnissen vorsehe, sondern auch eine Stärkung der Bürgerrechte.
»Wir regeln den Umgang mit den kriminalitätsbelasteten Orten neu«, erklärt Schrader. Heißt: Die polizeilichen Befugnisse im Hinblick auf die sogenannten KBOs werden eingeschränkt. Bisher dürfen Polizist*innen hier verdachtsunabhängig Personen kontrollieren. Die Orte werden von der Polizei selbst festgelegt und müssen nur im Falle einer Gerichtsverhandlung begründet werden - anders ist die Maßnahme bislang politisch kaum zu kontrollieren, da die Orte nicht veröffentlicht werden müssen. Mit dem ASOG wird die Polizei verpflichtet, die Orte zu umschreiben und dem Abgeordnetenhaus einen regelmäßigen Bericht mit Begründung der Maßnahme vorzulegen. Begründet werden darf die Einstufung als KBO zudem nicht mehr mit der Anhäufung von aufenthaltsrechtlichen Straftaten. »Das ist eine Norm, die Racial Profiling begünstigen kann«, kritisiert Schrader. Damit soll nun Schluss sein. Auch Prostitution darf in Zukunft kein Grund mehr sein.
Bei der Kennzeichnungspflicht wird die gängige Praxis nun gesetzlich geregelt. Die Pflicht, dass sich Beamt*innen ausweisen müssen, ist momentan nur durch Dienstvorschriften geregelt. In Brandenburg wurde deswegen bereits geklagt - das Gericht bestätigte die Pflicht mit Verweis auf die gesetzliche Grundlage. Diese wird in Berlin nun nachgeliefert.
Mehr politische Verantwortung bekommt die Polizeipräsidentin: Sie muss den Einsatz von Vertrauenspersonen und Telekommunikationsüberwachung bestätigen und ist damit für die Maßnahmen auch rechtlich belangbar. »Das bedeutet eine größere Legitimation«, meint Innenexperte Schrader. Neben Barbara Slowik muss auch ein Richter diesen umstrittenen Methoden zustimmen.
Die Überwachung der Kommunikation ist vor allem der SPD wichtig: »Die Polizei erhält wichtige zusätzliche Befugnisse zur Terrorabwehr«, so ihr innenpolitischer Sprecher Frank Zimmermann. Telefonüberwachung samt Nutzung von Imsy-Catchern, verpflichtender Mitarbeit der Telekommunikationsanbieter sowie Standortabfragen dürfen nun zur unmittelbaren Gefahrenabwehr benutzt werden. Hinzugefügt wurde der Paragraf als Konsequenz aus dem Terroranschlag am Breitscheidplatz.
Doch die Befugnisse der Polizei gehen noch weiter: »Die Einführung der Body-Cams wird schon einige Zeit erwartet«, so der Innensenator. Nun wird sie gesetzlich verankert. Zukünftig sollen Polizist*innen, aber auch Feuerwehrleute Kameras am Körper tragen, die durchgehend filmen, jedoch Material nur speichern, wenn ein Knopf gedrückt wird. Das soll die Einsatzkräfte vor Übergriffen schützen.
In anderen Bundesländern und bei der Bundespolizei gibt es dazu bereits Tests, die von Bürgerrechtler*innen kritisiert werden. »Wir gehen einen anderen Weg«, meint Schrader, der sich zunächst auch gegen die Body-Cams ausgesprochen hatte. In der Hauptstadt soll die Kamera beidseitig verwendbar sein - für Polizist*innen und Bürger*innen. Letztere könnten verlangen, dass gefilmt wird, wodurch auch polizeiliches Fehlverhalten aufgezeichnet werden könne. Die Ton- und Bildaufnahme würde immer 30 Sekunden vor Drücken des Knopfes gespeichert.
Bis die Kräfte auch wirklich mit der Technik ausgerüstet sind, wird es allerdings noch dauern. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Alle Regelungen werden dann nach und nach umgesetzt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!