Erschossen von der Polizei
Angehörige von Todesopfer planen Demonstration
In einer türkischen Bäckerei auf der Altendorfer Straße in Essen sitzt die Mutter von Adel B., die anonym bleiben möchte. Sie schluchzt, weint, ist wütend und traurig. »Da hat alles angefangen«, sagt sie und zeigt auf den Waschsalon an der Ecke der Straße. Hier drohte Adel B. am 18. Juni des vergangenen Jahres mit einem Messer, sich zu suizidieren. Er rief deshalb die Polizei. Der Einsatz endete damit, dass ein Beamter ihn erschoss. »Als wäre es gestern gewesen«, sagt seine Mutter.
In einem Jahr hat sich in der Aufklärung des Falls wenig getan (»nd« berichtete). Mit einem Anwalt ging Adels Mutter gegen eine erste Einstellung des Verfahrens vor und zog zur Generalstaatsanwaltschaft, die die Beschwerde gegen die Einstellung jedoch ebenso ablehnte. In der letzten Instanz versucht nun ihr Anwalt, ein Klageerzwingungsverfahren vor dem Oberlandesgericht zu erwirken. Das Gericht prüft dann, ob die Einstellung rechtmäßig ist.
»Das war für mich glatter Mord«, sagt Adel B.s Mutter. Hätten die Polizisten Psychologen hinzugezogen, ist sie sicher, »würde mein Sohn noch leben«. Drei Mal war Adel B. in den beiden Wochen vor seinem Tod bei der Polizei aufgefallen. Eine Woche vorher zog die Polizei bei einem ähnlichen Vorfall noch Psychologen hinzu, bis sich Adel B. ergab und die Beamten ihn in eine Psychiatrie brachten. Da wurde er kurze Zeit später wieder entlassen. »Die haben gesagt, ich sei nicht krank«, sagte Adel B. zu seiner Mutter.
Die Staatsanwaltschaft und Polizei sind sich aber keiner Fehler bewusst. »Ich kann behaupten, dass nicht nur minutiös, sondern im Halbsekundenrhythmus aufgeklärt worden ist«, sagte die Oberstaatsanwältin Anette Milk gegenüber Medien. Pfefferspray am Waschsalon? Hätte man nicht einsetzen können, da die Beamten wegen Adel B.s Messer sieben Meter Abstand halten mussten. Außerdem sei er auf Kokain und Alkohol gewesen. Psychologen holen? Die knappe Zeit seit der Grund gewesen, dass weder Mediziner noch Psychologen rechtzeitig vor Ort hätten sein können. Seine Freundin, die am Waschsalon auf ihn einwirken wollte? Wurde von der Polizei davon abgehalten und »in einen Hausflur gesperrt«, wie Adel B.s Mutter berichtet.
Es sind die Rechtfertigungen, die Adels Mutter am meisten belasten: »Am Ende heißt es, die Polizei hätte alles richtig gemacht und das macht mich noch wütender«, sagt sie. Sie habe Auszüge aus den Polizeiberichten gelesen. Eine Bedrohung gegen seine Freundin und ihre Kinder, die von den Behörden am Todestag genannt wird, soll umstritten sein. »Es gab einen Polizisten, der behauptet hat, zu hören, dass er die Kinder umbringen wolle. Eine Polizistin hat das aber auch dementiert«, sagt sie.
Weil es in dem Fall viele Widersprüche gibt und seit Februar drei weitere Fälle von rassistischer Polizeigewalt in Essen öffentlich geworden sind, will die Initiative »Gerechtigkeit für Adel B.« am Samstagnachmittag am Ehrenzeller Platz für Aufklärung und gegen rassistische Polizeigewalt demonstrieren.
Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber. In Deutschland gibt es 104 Telefonseelsorgestellen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit anonym Beratung am Telefon anbieten. Unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 kann kostenlos angerufen werden. Die Mitarbeiter*innen der Telefonseelsorge hören zu, nehmen Anteil und verweisen bei Bedarf an andere Einrichtungen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.