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Faustrecht im Rattenrennen
Dauermeister Bayern München steht symbolisch für den Wettbewerb im deutschen Profifußball, in dem der Sport an Bedeutung verliert
Sinnloses Streben - so wird ein Rattenrennen umschrieben. Weil es eine ungezügelte und hemmungslose Schlacht vieler um das eine, gleiche Ziel ist. Wirtschaftswissenschaftler kritisieren solche Wettbewerbe, in denen Ressourcen verschwendet werden, weil mögliche Mehrerlöse die stetig steigenden Einsätze der Konkurrenten nicht kompensieren können.
Dieses Szenario lieben Millionen Menschen. Fußballfans. Die Bundesliga funktioniert nach demselben Prinzip. Ein Ziel, das alle Jahr für Jahr eint: nicht absteigen. Also unternehmen 18 Klubs alles, um mindestens Drittletzter zu werden. Da die Vereinsplaner aber möglichst auch die Unwägbarkeiten der Relegation vermeiden wollen, sollte es am Saisonende Platz 15 sein. Drei Klubs bleiben also hier schon auf der Strecke. Wer sich im Kampf um den lukrativen Klassenerhalt finanziell übernimmt, bekommt nicht selten langfristig Probleme. Anschauliche Beispiele gibt es genug. Den immensen Unterschied zwischen Liga eins und zwei verdeutlicht schon das Fernsehgeld: Von den durch die Deutsche Fußball Liga (DFL) in dieser Saison insgesamt verteilten 1,16 Milliarden Euro flossen gerade mal 225 Millionen an die 18 Zweitligisten.
Einen sportlichen Leitsatz hat die Funktionsweise des Fußballmarktes in den vergangenen Jahren mehr und mehr ausgehebelt. Es spielen nicht mehr alle, um zu gewinnen. Eigentlich nur ein Verein: der FC Bayern. Im Kampf um die Meisterschaft als höchstes Ziel sind die Münchner konkurrenzlos. Am Dienstag feierten sie ihren achten Titel in Serie.
Dominant war der FC Bayern schon immer. 30 Meistertitel gewann er bislang, 29 davon in seinen 55 Bundesligajahren. Am Ende dieser Spielzeit wird er insgesamt 799 Spieltage an der Tabellenspitze stehen; auf Platz zwei folgt Borussia Dortmund mit 173. Doch eine so lange Siegesserie wie jetzt, mit acht Titeln in Folge, ist auch für die Münchner neu. Dass diese Erfolgsära in die Zeit des Wachstumswahns und der nahezu hemmungslosen Kommerzialisierung fällt, ist kein Zufall. Die DFL hat ihren Umsatz in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. In seinem Wirtschaftsreport 2020 vermeldete der Ligaverband allein für die 1. Bundesliga den Rekordumsatz von vier Milliarden Euro.
Die ungleiche Verteilung des Geldes zementiert die Machtverhältnisse. Welche Bedeutung der über Jahre geschaffene und stetig wachsende wirtschaftliche Vorteil hat, beweist der Rekordmeister. Die Münchner müssen nicht geduldig sein und können sich grobe Planungsfehler erlauben, die wohl viele andere Vereine ruinieren würden. So kann es sich der FC Bayern leisten, seinen Rekordtransfer schon nach einer Saison infrage zu stellen. Verteidiger Lucas Hernandez kam für 80 Millionen Euro. Gerade mal doppelt so viel wert ist der gesamte Kader von fast der Hälfte der Bundesligisten. Nun soll der Franzose wieder gehen. Dessen Landsmann Corentin Tolisso ist mit 41,5 Millionen Euro der zweitteuerste Einkauf der Münchner Vereinsgeschichte. Der Mittelfeldspieler schaffte es in den vergangenen drei Jahren nicht zum Leistungsträger.
Lucas Hernandez war nicht das einzige Münchner Missverständnis in dieser Saison. Ein anderes beendete der Verein Anfang November. Nach einem 1:5 gegen Eintracht Frankfurt musste Trainer Niko Kovac gehen. Anfang Dezember hatte der FC Bayern noch sieben Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze. Sechs Spieltage später thronte er schon wieder oben - und baut seinen Vorsprung seitdem kontinuierlich aus. Nicht mal eine längere Schwächephase können die Gegner nutzen. Und da ein Ende nicht abzusehen ist, winkt in zwei Jahren der nächste Rekord: Mit zehn Titeln in Folge könnten die Münchner mit DDR-Rekordmeister BFC Dynamo gleichziehen. Damals regelte der Staat den Erfolg, heute ist es der sogenannte Markt.
Welch Konkurrent auch immer die Ausnahmestellung des FC Bayern und deren Ursache kritisiert, er setzt sich in den meisten Fällen selbst dem Vorwurf der Scheinheiligkeit aus. Zuallererst: In der Coronakrise machten alle verantwortlichen Vertreter des Profifußballs geschlossen deutlich, worum es geht: nicht um Leidenschaft oder Emotionen - sondern um den Verkauf des Produktes. Chancengleichheit und Solidarität sind da sicher keine Vertragsinhalte. Trotzdem beklagt jeder Wettbewerbsnachteile - seine eigenen. In München wird ständig gejammert, dass es die anderen europäischen Topklubs besser hätten. Die nationalen Rivalen des übermächtigen FC Bayern sehen angeblich die Attraktivität der Bundesliga gefährdet. Fest steht: Abgeben will niemand etwas. Und alle bedienen sich unten: Per Faustrecht, die Macht des finanziell Stärkeren, werden schwächere Konkurrenten beispielsweise mit dem Kauf der besten Spieler noch weiter geschwächt.
Dass es neben den Dortmundern, die den Titel als Saisonziel ausgerufen hatten, kein Verein mehr wagt, den Bayern den Kampf anzusagen, spricht nicht gegen das Prinzip des Rattenrennens. Denn hinter den Münchnern tobt es in höchstem Maße. Das Ziel: die restlichen drei Plätze in der Champions League. Der Grund: das Geld. In der vergangenen Saison erspielten die Münchner 75 Millionen Euro in Europas Königsklasse, der BVB fast 60, Leipzig 40 und Leverkusen 35 Millionen. Mindestens sechs Klubs investieren jede Saison aufs Neue, um genau dorthin zu kommen. Die Rangfolge ist hier ebenfalls recht verfestigt: In den vergangenen zehn Jahren war die Aktiengesellschaft Borussia Dortmund achtmal dabei, auch der Werksverein Bayer Leverkusen schaffte es mehrmals. Zwangsläufig gibt es in maßlos geführten Wettbewerben auch Verlierer. Oder schlimmer: Wer an eigenen, überhöhten Ansprüchen scheitert, kann wie Schalke 04 schnell vor einer Insolvenz stehen, wenn coronabedingt kein Fußball gespielt werden darf.
Nach der Pandemie soll vieles hinterfragt und sowieso alles besser werden. Versprochen haben das viele der Verantwortlichen, die die Kommerzialisierung des Profifußballs jahrelang befeuert haben. Ein Produkt dieser Entwicklung ist RB Leipzig, die deutsche Fußballfiliale von Red Bull. Vor diesem Geschäftsmodell haben nicht wenige gewarnt. Das Ergebnis: Nach dem Bundesligaaufstieg im Jahr 2016 wird es RB in dieser Saison zum dritten Mal in die Champions League schaffen.
Wie wird man in kürzester Zeit Stammgast im umkämpftesten Wettbewerb der Welt? Indem der Konzern Red Bull dem Klub, an dem er 99 Prozent der Anteile hält, in der vergangenen Woche Schulden in Höhe von 100 Millionen Euro erlassen hat. Plötzlich ist die Bilanz wieder sauber und RB eine der fettesten Ratten im Rennen. Um weiter Schritt halten zu können, spielt der direkte Konkurrent und Gegner an diesem Sonnabend, Borussia Dortmund, mit einem anderen Plan. Der BVB erwägt, das Corona-Hilfspaket des Bundes für notleidende Unternehmen in der Krise zu nutzen - mit einem günstigen Kredit in Höhe von bis zu 60 Millionen Euro von der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau.
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