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Die Meute formiert sich

Elmar Wigand über die Welle der Empörung, die den Fleischfabrikanten Clemens Tönnies hinter Gitter bringen dürfte

  • Elmar Wigand
  • Lesedauer: 3 Min.

Was uns Kölnerinnen und Kölner von Westfalen, Hanseaten und vielen anderen unterscheidet ist: Wir schrecken vor nichts zurück. Karneval härtet ab. Wir müssen nicht cool sein. Wir haben sogar Spaß daran, uns manchmal gemeinschaftlich peinlich zu benehmen. Es gibt Aufnahmen, die mich mit Schweinsnase und großen Plastik-Schweinsohren zeigen, während ich in ein Megafon skandiere: »Dumping-Fleisch?« Die Menge antwortet: »Ekelhaft!« Und weiter: »Werkvertrag?« »Ekelhaft!« »Böklunder?« »Ekelhaft!« Alle zusammen: »Clemens Tönnies in den Knast!«

Sprachästheten mögen den unsauberen Reim von »ekelhaft« auf »in den Knast« entschuldigen. Immerhin hat er funktioniert. Wir haben ihn mit über 100 Leuten vom Kölner Chlodwigplatz bis zum Neumarkt vor Supermarktfilialen gebrüllt. Mit wachsendem Vergnügen. Damals - anlässlich des Aktionstags Schwarzer Freitag am 13. September 2019 - wirkte die Forderung, den Schweinebaron Clemens Tönnies, seines Zeichens größter Schweineschlachter Europas, in die Ekel-Haft zu bringen, noch einigermaßen vermessen. Doch schon damals schrieb die Gütersloher Lokalchefin der »Neuen Westfälischen«, Jeanette Salzmann: »Die Nervosität des Unternehmens war deutlich spürbar. Tönnies ist angezählt.«

Denn zum Aktionstag gegen Ausbeutung fanden sich weit mehr als die üblichen Verdächtigen zusammen. Zu Schlachthofgegnern unter den Anwohnern, Umwelt- und Tierschützern und Veganern gesellten sich nun Arbeitsrechtler, Sozialisten und »Fridays for Future«. Auch die kritische Fanszene von Schalke 04 rührte sich. Und im katholischen Milieu des Münsterlandes und Ostwestfalens hatte Pfarrer Peter Kossen unermüdliche Überzeugungsarbeit geleistet. Daraus kann eine ziemlich perfekte Welle werden.

Jetzt stehen die Räder in Rheda vorläufig still. Anton Hofreiter (Grüne) ruft zum Boykott auf und Hubertus Heil (SPD) will radikal aufräumen und fordert eine persönliche Haftung von Clemens Tönnies. Durch Covid-19 und das Unvermögen, seine dreiste, rechtsnihilistische Strategie in der Krise anzupassen, wird die Luft langsam dünn für den Metzgerssohn. Der Weg in den Knast erscheint nicht mehr ganz so unwahrscheinlich.

Der Fall weist gewisse Parallelen zu dem von Uli Hoeneß auf: Hoeneß war ein wesentlich unvermögenderer Multimillionär als Tönnies, leitete aber einen deutlich erfolgreicheren Fußballclub. Auch er ist Wurstfabrikant, der Nürnberger Rostbratwürstchen in der Münchener Allianzar-Arena verkauft, während Tönnies auf Schalke Böklunder feilbietet. Hoeneß musste von Juni 2014 bis Januar 2016 in Landsberg gesiebte Luft atmen, weil er durch Steuerhinterziehung in Millionenhöhe zu Fall kam.

Wenn die geltenden Gesetze wirklich durchgesetzt würden, dürfte Clemens Tönnies ein ähnliches Schicksal drohen. Durch organisierten Mietwucher für überbelegte Bruchbuden prellen seine Subunternehmer Wanderarbeiter aus Osteuropa um den gesetzlichen Mindestlohn. Auf organisierten Mietwucher stehen laut Paragraf 291 Strafgesetzbuch Haftstrafen von mindestens sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Die sogenannten Werkverträge, die bei Tönnies rund 80 Prozent der Arbeitsverhältnisse ausmachen und seine Schlachthöfe zu industriellen Vorreitern moderner Sklaverei machen, sind bei Licht betrachtet nur illegale Arbeitnehmerüberlassung. Die Formulierungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sind ziemlich eindeutig. Dadurch entgeht den Arbeitern ein Anspruch auf gleichen Lohn oder gar Festanstellung, dem Gemeinwesen entgehen Lohnsteuern und Sozialabgaben - schätzungsweise in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe.

Tönnies dürfte durch all das mehr Geld hinterzogen haben als Uli Hoeneß. Als Generalunternehmer in der Fleischindustrie ist er voll für die Machenschaften seiner Subunternehmer haftbar, so sagt es zumindest das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft, das der Bundestag am 1. Juni 2017 verabschiedet hat.

Durch Corona und den Lockdown in Gütersloh hat sich der Wind endgültig gedreht. Wenn selbst lokale Politiker, die ihm früher bereitwillig aus der Hand fraßen, öffentliche Kritik üben, sieht es düster aus. Derzeit wird kein wirklich Reicher und Mächtiger sich mehr öffentlich mit Clemens Tönnies sehen lassen wollen - weil das Pech an ihm zu kleben scheint und weil er sie alle in Verruf bringen könnte. Die Meute formiert sich.

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