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Probstheida träumt vom Profifußball
Folge 154 der nd-Serie »Ostkurve«: Lok Leipzig - erfolgreich von Fans geführt.
Wolfgang Wolf saß im leeren Sportcasino des 1. FC Lok Leipzig unter der historischen Holztribüne im Bruno-Plache-Stadion und schaute nach draußen zu den Journalisten, die durch zwei geöffnete Fenster hindurch Fragen stellen durften. Corona-Bestimmungen in der Fußball-Regionalliga. Der Sportdirektor und Interimstrainer der Blau-Gelben atmete einmal tief durch und sagte: »Das Ergebnis tut weh.«
Im Relegationshinspiel um den Drittligaaufstieg gegen den SC Verl, Meister der Regionalliga West, hatte Loks junger Torwart Fabian Guderitz zwei Minuten vor Schluss einen hohen Ball unbedrängt ins eigene Tor gelenkt. Und so endete am Donnerstagabend das erste Duell zwischen Lok und Verl 2:2 (1:1). Euphorie wich binnen weniger Minuten Ernüchterung. Für die »Loksche«, wie die Anhänger den Klub aus dem Osten der Stadt nennen, könnte der kapitale Fehler zum Nackenschlag auf dem holprigen Weg in den Profifußball werden. Noch aber lebt der Traum von der Rückkehr auf die bundesweite Fußball-Landkarte. Das Rückspiel soll am kommenden Dienstag angepfiffen werden. Wo? Das ist immer noch ungeklärt. Verls Stadion hat die nordrhein-westfälische Landesregierung ob des neuen Corona-Lockdowns im Kreis Gütersloh jedenfalls gesperrt.
1988 hatte Lok Leipzig noch vor 80 000 Zuschauern im Zentralstadion gegen Diego Maradonas SSC Neapel gespielt. Nach der Wende, der Umfirmierung zum VfB Leipzig, dem Bundesligaaufstieg, insgesamt sechs Zweitligajahren sowie 17 Millionen Mark Schulden und der Insolvenz wurde Lok Leipzig neu gegründet und musste 2004 in der 3. Kreisklasse ganz von vorn beginnen. Doch die Fans hielten Lok die Treue. Zum ersten Spiel in der elften Liga kamen 5000 Leute. Und Lothar Matthäus trug als Pressegag für ein Spiel das blau-gelbe Trikot. Lok wirkte für Außenstehende mehr wie eine Attraktion auf dem Jahrmarkt als ein ernstzunehmender Verein. Zudem war die Zeit des Neuaufbaus auch überschattet von immer wiederkehrenden Gewaltausbrüchen randalierender Fans - teils aus dem Neonazi-Spektrum -, die bei Lok ein Sammelbecken fanden. Die damalige Klubführung um den Ex-Hooligan Steffen Kubald gebot nur unzureichend Einhalt.
Der Wendepunkt kam 2013, als vier Fans den Verein übernahmen und sich daran machten, einen erneut aufgelaufenen Schuldenberg von mehr als 600 000 Euro abzutragen. Seither wird vernünftig gewirtschaftet und der Klub mit Herzblut und viel ehrenamtlicher Arbeit aus seiner Mitte heraus geführt. Sechs hauptamtliche Mitarbeiter gibt es mittlerweile, über 150 leisten freiwillig Tausende von Arbeitsstunden. »Das ist auch ein Statement dafür, dass Vereine von ihren Fans gut und sinnvoll gelenkt werden können«, meint Vereinsbiograf Marko Hofmann.
Innerhalb von 16 Jahren von Europas Bühne auf Dorfsportplätze - und nun weitere 16 Jahre später womöglich zurück in den Profifußball. Wer durchgehalten hat und nicht zu RB Leipzig abgewandert ist, wird mit viel Mitgestaltungsmöglichkeiten belohnt. »Die Mitglieder müssen sich bei Lok an der Entwicklung beteiligen, anders funktioniert das nicht«, betont Präsident Thomas Löwe. Der Bauunternehmer ist dem Klub seit 45 Jahren verbunden und seit 2017 an der Spitze des knapp 3000 Mitglieder zählenden Vereins.
Der 53-Jährige empfängt in seinem Fliesenstudio: Löwe berichtet über seinen Traum, Duelle gegen Magdeburg, den Halleschen FC und Dynamo Dresden - die ihn als Kind und Jugendlicher in der DDR-Oberliga fasziniert haben - nun in der 3. Liga wieder erleben zu wollen. 2015 hatte er als Vorsitzender der Baukommission begonnen, das marode Klubgelände zu sanieren. Ein langjähriger Erbpachtvertrag mit der Stadt wurde geschlossen, Vertrauen zurückgewonnen, um wieder Fördermittel zu bekommen. Der Verein kaufte das Vereinsemblem zurück, weil die Rechte in den Wendewirren verscherbelt worden waren. Heute ist das Gelände mit Kunstrasenplatz, Trainingsplätzen, Halle und dem Stahlross als Wahrzeichen am Stadioneingang nach wie vor charmant nostalgisch - aber konkurrenzfähig. Vor den Spielen helfen jedes Wochenende 50 bis 100 Fans die Spielstätte auf Vordermann zu bringen.
Finanzieller Motor war seit 2015 der Kölner Unternehmer Franz-Josef Wernze. Der ehemalige Spieler und Trainer Heiko Scholz, der mit seiner Aufbauarbeit von 2013 bis 2018 maßgeblichen Anteil am Aufschwung hat, hatte den Geldgeber mitgebracht. Wernze half nicht nur finanziell, sondern brachte den Verein auch in Sachen Buchhaltung und Organisation auf professionelles Niveau. Dank ihrer seriösen Arbeit schafften es Löwe & Co. auch, Wolfgang Wolf zu verpflichten, der seinem Sohn Patrick, der bei Lok spielt, zuvor nur zugeschaut hatte. Ein Hauptgewinn für Lok. Mit dem ehemaligen Bundesligaspieler und -trainer ging es sportlich bergauf.
Klare Kante zeigt der neue Klubchef gegen Extremismus. »Wir sind streng gegen gewalttätige und rechtsradikale Fans vorgegangen. Keine Vereinsführung seit 2013 hat sich von diesem Klientel einschüchtern lassen«, sagt Löwe. Rechtsextreme Fangruppierungen wurden aufgelöst und Stadionverbote durchgesetzt. Als 2018 ein B-Jugend-Team von Lok vor ihrem rechtsextremen Trainer mit Hitlergruß posierte, handelte der Klub schnell - und holte sich Hilfe. So mietete sich die Jugendabteilung ins Theater der Jungen Welt ein, um sich das Schicksal des in Auschwitz ermordeten deutsch-jüdischen Nationalspielers Julius Hirsch auf der Bühne anzusehen.
Lok sei heute ein familienfreundlicher Verein, betont Löwe. Das hält Rechtsextreme wie den Kampfsportler Benjamin Brinsa jedoch nicht davon ab, weiter Lok-Fan zu sein. Vor den Relegationsspielen postete er ein Foto eines Hooligan-Kampfes auf freiem Feld, bei dem eine Partei blau-gelbe T-Shirts trägt. In Leipzig waren wieder Sticker zu sehen, die die Fans des Stadtrivalen BSG Chemie als »Juden« schmähten. Altlasten aus den Jahren, als Gruppierungen wie die verbotene Vereinigung »Scenario Lok« den Ton angaben in Probstheida. Inzwischen gibt es sogar linksalternative Ultras wie die »Fankurve 1966«.
Weil Gönner Wernze sein Engagement zur neuen Saison reduziert, muss der Verein einen anderen Hauptsponsor finden. Diverse Kandidaten wollen aber nur in der 3. Liga einsteigen - und das Stadion ausbessern, damit der Verein überhaupt die Lizenz erhält. Die hat der DFB im ersten Schritt verweigert. Die Sanierung der kultigen Holztribüne wird vier Millionen Euro kosten. Ob »Loksche« in der 3. Liga überhaupt im Bruno-Plache-Stadion spielen darf, ist also ebenso unklar wie der sportliche Aufstieg. Den hat Lok im Relegationsrückspiel immerhin selbst in der Hand.
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