Kolumbiens Gefangene leben in Angst
José Adornay Gallego wurde nur 52 Jahre alt. Er verschied, ohne seine Freiheit wiedererlangt zu haben, in einer Klinik in der kolumbianischen Großstadt Cali. Dorthin war er aus dem Gefängnis Villahermosa verlegt worden. Gallego könnte nicht der letzte Häftling bleiben, der an den Folgen von Covid 19 starb. Die Zahl der Infizierten unter den Gefangenen steigt drastisch an.
Laut offiziellen Angaben haben sich mittlerweile rund 1200 Menschen hinter Gittern infiziert, vier sind bislang gestorben. In den überfüllten Gefängnissen des Landes geht die Angst um. Immer wieder kommt es zu Protesten. Im März, zu Beginn der Pandemie, war es deshalb in mehreren Gefängnissen zu Aufständen der Insassen gekommen.
Die Haftanstalten Kolumbiens gehören nun zu den Orten, an denen sich das Virus besonders intensiv verbreitet hat. Das ist angesichts der Haftbedingungen wenig überraschend. Die Gefängnisse sind wie überall in Lateinamerika stark überbelegt, auf eine Gesamtkapazität von rund 80 000 Plätzen kommen circa 120 000 Gefangene.
Besondere Sorgen bereitet die Situation derzeit in Villahermosa bei Cali, in dem auch Jorge Gallego starb. Auf 900 Gefangene ausgelegt, entspricht die Überbelegung derzeit bis zu 170 Prozent. Das Virus findet hier ideale Verbreitungsmöglichkeiten. Enge, mangelnder Zugang zu Trinkwasser und schlechter medizinische Versorgung werden nun zu existenziellen Problemen. Nicht nur ist es unmöglich, Abstandsregelung einzuhalten, Insassen berichten auch von mangelnder Hygiene, fehlenden Sicherheitsprotokollen und laxen Gesundheitskontrollen.
»Ohne Wasser ist Hygiene schwierig. Und auf einem 50 Zentimeter breiten und 40 Metern langen Flur schlafen sechs oder sieben Personen. Da kann von Abstandhalten keine Rede sein«, schildert der Insasse und Menschenrechtsaktivist Hermizul Prieto. Die Zahl der Infizierten in Villahermosa ist in den vergangenen Tagen auf 694 gestiegen, Aktivisten und Anwälte gehen aber von weitaus höheren Zahlen aus und vermuten, die Behörden hielten die Ziffern absichtlich niedrig. »Sie wollen den Eindruck vermitteln, dass alles in Ordnung ist, aber das ist es nicht. Die Zustände sind chaotisch«, sagt Maryori Hernandez von der Nationalen Gefängnisbewegung MNC, die im Frauentrakt von Villahermosa einsitzt. »Sie spielen hier mit unseren Leben.« Die Häftlinge fühlen sich von den Behörden alleingelassen. »Wir sind ohne jegliche Unterstützung durch staatliche Stellen«, sagt auch Hermizul Prieto.
Die Regierung von Präsident Duque hatte nach den Ausschreitungen im März den Gefängnisnotstand verhängt und wollte mit der Verlegung von mehr als 10 000 Häftlingen in den Hausarrest oder durch deren vorzeitige Entlassung die Haftanstalten entlasten. Bislang jedoch haben nur rund 1000 Personen die Anstalten verlassen, räumte Justizministerin Margarita Cabello ein. Auch José Gallego hätte von diesem Präsidialdekret profitieren können, weil er die notwendigen drei Fünftel seiner Strafe wegen eines Drogendeliktes abgesessen hatte. Justizministerin Cabello traf am vergangenen Freitag mit den Behörden in Cali zusammen, um die Situation zu besprechen. »Ich sehe, dass man hier in Cali sehr gut mit der Situation zurechtkommt«, sagte sie laut der Lokalzeitung »El País«. Sie schlägt vor, das örtliche Gefängnis um weitere 3000 Plätze zu erweitern.
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