Die Wolke der Unklarheit

Nach der Printausgabe wird jetzt auch die Onlineausgabe des Magazins »Spex« eingestellt

  • Kristof Schreuf
  • Lesedauer: 3 Min.

Nun ist es also doch passiert: »Spex« macht Schluss. Nachdem im Herbst 2018 die Printausgabe nach 38 Jahren eingestellt wurde, wird nun auch die übrig gebliebene Onlineausgabe des Musikmagazins nicht weiter betrieben, wie der Verlag, die Piranha Media GmbH, erklärte - per Pop-up auf der Website. Zwar werde ein »Restart im Herbst« nicht ausgeschlossen, doch es klingt ziemlich endgültig, wenn der Verlag zudem mitteilt, »keine falschen Versprechungen« machen zu wollen.

Allein in den letzten beiden Jahren hatte sich eine Reihe traditionsreicher Musikmagazine, darunter der englische »New Musical Express« sowie die deutschen Blätter »Intro« und »Groove«, wegen des immer geringeren Anzeigenaufkommens ins Internet zurückgezogen, um Kosten zu sparen. »Spex« war damit nicht das einzige Magazin, das nicht mehr am Kiosk zu haben war, aber es ist das erste, bei dem auch der Verzicht auf eine Printausgabe kein Weitermachen mehr ermöglicht. Gerade mal zwei feste und drei freie Redakteure konnten nach wie vor nicht kostendeckend arbeiten. In der Erklärung des Verlags heißt es sogar, dass »Spex« zuletzt aufgrund der Coronakrise und der seitdem völlig eingebrochenen Werbeeinnahmen kurz davor gewesen sei, »die Existenz des gesamten Verlags« zu gefährden.

Der Verleger Alexander Lacher hatte vor 20 Jahren die wankende Zeitschrift gekauft und damit zum ersten Mal vor einem Ende bewahrt. Ihm ist es hauptsächlich zu verdanken, dass es »Spex« in den letzen Jahren überhaupt noch gab, auch wenn er 2007 den Redaktionsort von Köln nach Berlin verlegt hatte.

Nun endet eine Ära von fast 40 Jahren, in der nicht nur Schriftsteller*innen, Musiker*innen und bildende Künstler*innen für das Magazin Beiträge lieferten, sondern sich auch Mitbewohner*innen in WGs enthusiastisch wegen einzelner Artikel oder Rezensionen überwarfen und Schülerinnen und Schüler herrliche Möglichkeiten fanden, sich bei Diskussionen in kleinen und großen Pausen auf dem Schulhof selbst ein Selbstbewusstsein zu basteln.

Diese Zeiten sind lange vorbei. Doch man kann nicht sagen, dass »Spex« seitdem nicht weiter versucht hätte, Leser*innen und Abo-Kund*innen auf unterschiedliche Art und Weise zu erreichen. Beim »New Musical Express«, in den 80er Jahren das führende Musikmagazin Europas, sah das ganz anders aus. Bis zuletzt berichtete das Blatt am liebsten borniert über die notorischen weißen heterosexuellen Männer mit Gitarren. »Spex« dagegen experimentierte.

Über eine ganze Weile ergänzte eine Modestrecke jede Ausgabe. Dazu wurde die Redaktion fast so häufig und selbstverständlich ausgetauscht wie die Trainer in der Fußballbundesliga. Diese radikalen Personalwechsel erinnerten an linke Gruppen der 70er Jahre, die ebenfalls wegen fehlender Außenwirkung begannen, Aggressionen nach innen zu entwickeln.

Eine der etwas bedrohlichen Lehren aus der Einstellung von »Spex« lautet nun, dass Menschen, die informiert, mit Herzblut und einer eigenen Sprache schreiben, wie das bei diesem Magazin durchgängig der Fall war, damit heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Das mag sich ähnlich verhalten wie bei ungezählten, auch von »Spex« beachteten bis gepriesenen Bands, die zwar Album für Album Lobeshymnen von Kritiker*innen gesungen bekommen, aber beim Publikum trotzdem nur wenig Anklang finden. Da kann es jedem Menschen, der sich für mündliche oder schriftliche Unterhaltungen über Musik auf Schulhöfen, Partys, in WGs und Kneipen interessiert, schon mulmig werden.

Vielleicht setzt sich mal jemand hin und schreibt etwas über diese letzten, erfolglosen Jahre von »Spex«. Über diese lange aufgehaltene Agonie, während der die jeweiligen Mitarbeiter*innen so entschieden wie immer und wie bisher weitermachten, aber diese Wolke der Unklarheit, wie jetzt ein Musikjournalismus auszusehen hätte, der Aufmerksamkeit weckt, einfach nicht vom Himmel über der Köpenicker Straße vertreiben konnten. Ein Text darüber könnte lehrreich sein. Denn es muss zuletzt ein ganz schön komisches Gefühl gewesen sein, einen Arbeitsplatz zu haben, an dem sich zwar alles denken und schreiben, aber gleichzeitig immer weniger dafür tun ließ, um ihn zu erhalten.

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