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Sachsens neuer Verfassungsschutzchef muss sich erklären
Köditz: Neuer Behördenleiter Dirk-Martin Christian soll sich im Innenausschuss des Landtags der Kritik stellen
Dresden. Sachsens neuer Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian ist unmittelbar zum Arbeitsbeginn in die Kritik geraten - und mit ihm auch Innenminister Roland Wöller (CDU). Nach einem Bericht der »Sächsischen Zeitung« vom Mittwoch wollte Christian brisante AfD-Daten löschen lassen. Das Material soll Auskunft darüber geben, inwieweit sich AfD-Funktionäre bereits von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt haben. Der bisherige Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Gordian Meyer-Plath, habe das Schwärzen und Löschen der Daten aber abgelehnt.
Der Nachfolger von Meyer-Plath war erst am Dienstag bekannt gegeben worden. Christian war zuvor im Innenministerium für die Aufsicht über das LfV zuständig.
Die Linke forderte umgehend Aufklärung. »Die Vorwürfe sind schwerwiegend«, erklärte Linke-Politikerin Kerstin Köditz. Spätestens in der Sitzung des Innenausschusses am Donnerstag müsse Wöller Rede und Antwort dazu stehen.
Es sei klar, dass »Daten zu Abgeordneten einen besonderen Stellenwert haben und die freie Mandatsausübung geschützt werden muss. Dort sind sensible Prüfungen angesagt. Aber sollte sich bewahrheiten, dass Wöllers Innenministerium den sächsischen Geheimdienst zur Blindheit gegenüber verfassungsfeindlichen Bestrebungen in der AfD anweisen wollte, wäre das ungeheuerlich«, so Köditz. Viele Beispiele zeigten, dass es um die Analysefähigkeit des Verfassungsschutzes »ohnehin nicht allzu gut bestellt ist«.
»Die im Raum stehenden Vorwürfe müssen dringend aufgeklärt werden«, schrieb Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann auf Twitter. Das Innenministerium kündigte für Donnerstag eine Pressekonferenz mit Wöller und Christian an.
Nach dem Bericht der »Sächsischen Zeitung« war es zwischen Christian und dem Verfassungsschutz in den vergangenen Monaten zu heftigen Konflikten gekommen. Dirk-Martin Christian blockiere die Arbeit im Bereich des Rechtsextremismus und werfe als Chef die Behörde um Jahre zurück, hieß es mit Verweis auf Sicherheitskreise.
»Der sächsische Verfassungsschutz war in den vergangenen Jahren nicht unbedingt die Speerspitze im Kampf gegen Rechtsextremismus. Uns erscheint daher ein Wechsel an der Hausspitze folgerichtig«, erklärte SPD-Politikerin Sabine Friedel. Die seit Mittwoch völlig neue Konfliktstellung verblüffe aber: »Und hinterlässt vor allem viele offene Fragen. Die müssen geklärt werden - und zwar in den zuständigen Gremien, also in der Parlamentarischen Kontrollkommission und im Innenausschuss. Dafür wird die SPD sorgen.«
Aus den Reihen der Grünen Jugend wurden Rücktrittsforderungen an Wöller laut. »Der Verfassungsschutz ist bereits in der Vergangenheit vor allem durch seine Blindheit auf dem rechten Auge aufgefallen«, erklärte Merle Spellerberg, Sprecherin der grünen Nachwuchsorganisation. Sie warf Christian vor, als Fachaufsicht die Arbeit des Verfassungsschutzes im Bereich Rechtsextremismus »aktiv behindert und den Rechtsextremismus massiv verharmlost« zu haben. Er sei damit absolut untragbar. Wöller trage dafür die Verantwortung.
Sachsens FDP warf Wöller vor, in der Führung des Verfassungsschutzes zu versagen und forderte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf, die Personalie des LfV- Präsidenten zur Chefsache zu machen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) habe erst vor wenigen Wochen den Rechtsextremismus als größte innenpolitische Gefahr in Deutschland bezeichnet: »Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärt den Flügel der AfD noch im März zu einer verfassungsfeindlichen Bestrebung und ordnete dessen Beobachtung an. In Sachsen wird dagegen mit dem Verfassungsschutz die wichtigste Abwehrbehörde in die Hände eines Mannes gelegt, der die Gefahr aktiv leugnet und löschen will.«
Am Mittwochabend folgten gut 30 Menschen dem Aufruf zu einer Spontandemonstration vor dem sächsischen Innenministerium. Dabei forderten Redner den Rücktritt von Wöller, der auch wegen einer Affäre um den illegalen Verkauf sichergestellter Fahrräder durch eine
Beamtin der Polizeidirektion Leipzig in der Kritik steht. Viele der Teilnehmer schlossen ihre Fahrräder demonstrativ an. Agenturen/nd
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