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Nie wieder Shutdown?
Linke im Bundestag ließ ökonomische und soziale Folgen der Corona-Krise analysieren
Eine illustre Runde war es, die Ende vergangener Woche im Paul-Löbe-Haus des Bundestages zusammentraf, um das Corona-Management durch deutsche Behörden zu bewerten. Die Linksfraktion hatte dazu sehr verschiedene Fachleute eingeladen, unter ihnen der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, die Philosophin Svenja Flaßpöhler und Julian Nida-Rümelin, der von 2001 bis 2002 Kulturstaatsminister war.
Fraktionschef Dietmar Bartsch konstatierte, die schnelle Verabschiedung des Corona-Konjunkturpakets habe gezeigt, dass in Krisenzeiten sehr wohl ein Abrücken vom Dogma der schwarzen Null möglich sei. Zugleich gebe es faktisch keine Unterstützung für diejenigen, die sie am nötigsten hätten: »Die Krisenpolitik hat einen Toten Winkel, und das ist das Thema soziale Gerechtigkeit.« Zugleich gebe es seit Beginn der Lockerungen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen enorme Widersprüche bei dem, was wieder erlaubt und dem, was noch verboten sei.
In der Eröffnungsrunde wude die Rolle der Medien in der Krise in den Blick genommen. Die Journalistin Franziska Augstein befand, die Einschränkung der Grundrechte sei im Rückblick viel zu weitgehend gewesen. Die Medien hätten in der Krise keine »ersprießliche« Rolle gespielt, sagte die Journalistin. Berechtigte Bedenken von Bürgern gegen Grundrechtseinschränkungen seien nicht ernst genommen worden. Zugleich hätten die meisten Medien »alles getan, die Angst vor dem Virus zu schüren« und dabei mit nicht belastbaren Zahlen operiert. Mit dem Shutdown großer Teile des öffentlichen Lebens habe man massenhaft soziale und gesundheitliche Schäden sowie Nachteile für viele Kinder in Kauf genommen, die »in keinem Verhältnis« zu den geretteten Leben stünden.
Extrem kritisch äußerte sich Augstein zur Rolle des »Chefvirologen« Christian Drosten, der ihrer Auffassung zu den »Angstmachern« gehört und deshalb nie einen eigenen Podcast hätte bekommen dürfen.
Auch Julian Nida-Rümelin, der darauf hinwies, dass er auch Physik und Mathematik studiert hat, hält den Shutdown im Rückblick für falsch und für weitgehend wirkungslos - abgesehen vom Verbot von Großveranstaltungen. Er räumte jedoch ein, dass angesichts des geringen Wissens über das neue Virus zunächst schnelles Handeln nötig gewesen sei. Gleichwohl müsse man zu den meisten Einschränkungen im Nachhinein sagen: »Nie wieder!« Komme es bei einer neuen Welle von Corona-Erkrankungen erneut zu Shutdowns, »die Weltgesellschaft würde sich davon nie wieder erholen«, warnte der Ex-Minister. Angesichts dessen, dass das neuartige Virus »extrem konzentriert« auf Alte und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen sei, gelte es künftig, diese Gruppen effektiv zu schützen.
Der frühere Linksfraktionschef Gregor Gysi forderte, die »fast gegebene Gleichschaltung der Medien so schnell wie möglich zu überwinden und dafür sorgen, dass Pandemie nicht dafür genutzt wird, Grundrechte dauerhaft einzuschränken«. Er erinnerte zugleich daran, dass Virologen und Epidemiologen der DDR bereits in den 1970er Jahren »ein vollständiges Konzept« für den Pandemiefall entwickelt haben. Deren Expertise sei aber nach der deutschen Wiedervereinigung ignoriert, das zuständige Institut für Virologie und Impfstoffe 1992 geschlossen worden. Zudem seien Privatisierung und Marktorientierung des Gesundheitswesens trotz Forderungen von Fachleuten für den Pandemiefall in einem Gutachten von 2012 immer vorangetrieben worden.
Dies kritisierten in der Debatte auch der Mediziner und frühere Ostberliner Gesundheitspolitiker Heinrich Niemann und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Der Linke-Politiker sagte, durch das System der Finanzierung nach Fallpauschalen seien in Thüringen unabhängig von der Pandemie viele kleine Kliniken »so in die Enge getrieben, dass sie kurz vor der Schließung stehen«.
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, lobte wie viele andere Teilnehmer der Veranstaltung, dass Ramelow »sehr früh und sehr offensiv die Maßnahmen zur Corona-Eindämmung wieder auf Freiwilligkeit umgestellt« habe. Das sei mutig und angesichts der Entwicklung der Infektionszahlen vernünftig gewesen. Auch Reinhardt kritisierte, unter anderem durch die Reservierung von Intensivbetten für an Covid 19 Erkrankte sei es zu »Kollateralschäden« etwa für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in großem Ausmaß gekommen.
Viele Diskutanten betonten, die Pandemie zeige bestehende soziale Ungerechtigkeiten wie im »Brennglas« und wirke wie ein »Brandbeschleuniger« bei ohnehin geplantem Stellenabbau in der Industrie.
Der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, prangerte den Umgang mit Hartz-IV-Beziehern an und konstatierte, die Pandemiekrise habe die bestehende Ungerechtigkeit des Bildungssystems überdeutlich werden lassen. Es habe die Benachteiligung ärmerer Kinder noch einmal verschärft. Als Sofortmaßnahme fordert der Paritätische die Verlängerung des Kindergeldbezugs um ein Jahr.
Das Thema »Lockdown: Wirtschaft und Demokratie haben Pause?« erörterten Svenja Flaßpöhler, die ehemalige Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht und DGB-Chef Reiner Hoffmann. Flaßpöhler sagte, eine erholsame Pause habe es für niemanden gegeben. Ein Weiter so könne es nach dem Ende der Stillegung eines Teil des öffentlichen Lebens angesichts der schon vor Corona bestehenden Wirtschaftskrise und der drohenden Klimakatastrophe nicht geben. Die aus der Pandemie resultierende Verunsicherung habe einerseits zu mehr Solidarität und Sorge füreinander geführt, andererseits aber »Wünsche nach autokratischen Entwicklungen« hervorgerufen. Hier sei große Wachsamkeit nötig.
Wagenknecht betonte, für Paketboten oder Verkäuferinnen habe die Krise noch mehr Stress bedeutet. Zudem habe es in der Industrie keinen Lockdown gegeben. Von dem seien insbesondere Soloselbstständige, Kulturschaffende, Restaurantbetreiber und die Tourismusbranche betroffen. Hilfen bekomme insbesondere die Autoindustrie, die damit einmal mehr dafür belohnt werde, dass sie seit Jahren nicht mehr in technische Innovation investiere und stattdessen immer mehr Geld aus den Unternehmen abziehe, um die Interessen von Großaktionären zu bedienen. Angesichts dessen sei ein Nachdenken über neue Eigentumsformen nötig.
DGB-Chef Hoffmann pflichtete ihre bei und ging insbesondere auf die Aushebelung der Rechte von Beschäftigten und die »Aufhebung der Gewaltenteilung« zwischen Regierung und Parlament ein. Jetzt gelte es darauf zu achten, dass die Verlängerung der zulässigen Arbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag im Arbeitszeitgesetz per Regierungsverordnung »nicht zum Dauerzustand« werde.
-- Einen Mitschnitt der Anhörung gibt es auf dem Youtube-Kanal der Linksfraktion
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