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Brasiliens Präsident Bolsonaro ist an Covid-19 erkrankt. Doch das Land hat größere Probleme
Nun hat wohl auch er sich die »kleine Grippe« eingefangen. Als solche hatte Brasiliens ultrarechter Staatschef Jair Bolsonaro die durch den neuartigen Coronavirus verursachte Infektionskrankheit Covid-19 heruntergespielt, als die Pandemie im März auch sein Land erreichte. Heute ist der südamerikanische Riese ein Corona-Hotspot. Nach den offiziellen, unvollständigen Zahlen bewegt sich die der Infizierten zügig auf die Zwei-Millionen-Marke zu. Fast 67 000 Fälle von Verstorbenen mit Covid-19 wurden landesweit bisher registriert, am schwersten betroffen sind die Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo.
Der Hauptverantwortliche für diese Entwicklung ist Bolsonaro selbst. Der Präsident widersetzte sich Eindämmungsmaßnahmen in Wirtschaft und Gesellschaft, legte sich dabei mit Gouverneuren und Bürgermeistern von Großstädten an. Immer wieder rief Bolsonaro dazu auf, Abstands- und Hygieneregeln zu ignorieren und ging mit schlechtem Beispiel voran. Demonstrativ suchte er öffentliche Orte auf und provozierte dabei Menschenaufläufe. Seine Anhänger putschte Bolsonaro ungeachtet der Epidemie zu Demonstrationen gegen den Kongress und das Oberste Gericht auf.
In der Gesundheitspolitik verursachte er das blanke Chaos. Mit seinen Einmischungsversuchen in ihre Kompetenzen vertrieb der Präsident bereits zwei Gesundheitsminister; seit fast drei Monaten wird das Ressort mitten in der Coronakrise interimsweise von einem Militär geleitet, der sich seine Orden auf ganz anderen Feldern erworben hat. Seinem US-Amtskollegen Donald Trump auch darin nacheifernd, kündigte Bolsonaro für Brasilien den Austritt aus der angeblich ideologisch gesteuerten Weltgesundheitsorganisation (WHO) an.
Um seine medizinische Betreuung kann Bolsonaro als Staatschef natürlich unbesorgt sein - anders als bei vielen Landsleuten, die auf das unterfinanzierte öffentliche Gesundheitssystem angewiesen sind, sofern sie nicht kostspielig privat versichert sind. Auch schon mal nach einem Arzt umsehen dürfte sich der Personenkreis, mit dem der Präsident zuletzt in Kontakt war, darunter etliche Minister und Unternehmensbosse.
Bei der Bekanntgabe seiner Erkrankung am Dienstag im AlvoradaPalast in Brasília vor Vertretern dreier ausgewählter TV-Sender sagte Bolsonaro, dass es ihm, nachdem er am Vortag über Übelkeit, Müdigkeit, Muskelschmerzen und Fieber gelitten habe, bereits wieder »sehr gut« gehe. Das Virus sei »wie ein Regen«, der jeden treffen könne. »Das Leben geht weiter. Brasilien muss produzieren.« Seine Ärzte sollen Bolsonaro die Einnahme des Malariamittels Hydroxychloroquin verordnet haben. Die Wirksamkeit des Medikaments bei Covid-19 ist nicht bewiesen, von politischen Scharlatanen wie Trump und Bolsonaro wird es aber dennoch beworben. Brasilien hat kürzlich große Mengen des Präparats aus den USA importiert. Gesicherte Erkenntnisse gibt es hingegen zu dessen möglichen gefährlichen Nebenwirkungen.
Eine Nebenwirkung der Erkrankung des Präsidenten ist, dass sie Schlagzeilen macht, welche Berichte über weitaus dramatischere Vorgänge in den Hintergrund drängen. Nicht nur fordert Corona vor allem unter der ärmeren Bevölkerung weiter Opfer. Zur selben Zeit gibt es im Amazonas die schwersten Brände seit vielen Jahren, angefacht von einer Politik der ökonomischen Ausplünderung seiner Ressourcen.
Und dann sind da noch Ermittlungen zum rechten Fake-News-Netzwerk und vor allem der Fall Fabrício Queiroz. Queiroz, eine Schlüsselfigur im Geflecht aus Rios kriminellen »Milizen« und dem Bolsonaro-Clan, wurde am 18. Juni verhaftet. Jairs alter Freund wirkte darin als eine Art Buchmacher und diente seinem ältesten Sohn Flávio als »rechte Hand«. Enge Verbindungen gab es auch zum Auftragskiller Adriano da Nóbrega, der im Februar bei seiner Festnahme zu Tode kam. Dessen Bande soll im März 2018 in Rio die linke Stadträtin Marielle Franco ermordet haben. Versteckt worden war Queiroz vor den Behörden von Anwälten der Bolsonaros. Packt er aus, kann den Präsidenten wohl kein Mittel mehr retten.
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