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  • Klaus Wagenbach wird 90

Salto vorwärts

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Heute ist der einst linke Westberliner Verleger Klaus Wagenbach Bundesverdienstkreuzträger, hat also einen Lebenslauf vorzuweisen wie nicht wenige bundesdeutsche Linke der 60er Jahre: einen, der gekennzeichnet ist von einer gewissen Anschmiegsamkeit an die Verhältnisse.

Ende der 50er promovierte er über das Werk Franz Kafkas, eines Schriftstellers, der ihn sein Leben lang beschäftigen sollte und über den er wiederholt schrieb und publizierte. 1964 gründete der vom Fischer-Verlag gekündigte und politisch mit der entstehenden außerparlamentarischen linken Opposition sympathisierende junge Lektor seinen eigenen Verlag, der in den ersten Jahren kollektiv geführt wurde, zumindest wurde das versucht. »Geschichtsbewusstsein, Anarchie, Hedonismus« lautete das Motto des Verlags, mit dem Wagenbach sich nicht nur gegen ein muffiges Nachkriegsdeutschland zur Wehr zu setzen versuchte, dessen politisches Personal und Bevölkerung nach wie vor von der Ideologie des Nationalsozialismus beseelt war, sondern auch das spezifisch deutsche »Missverständnis von Literatur als ausschließlich politischer Botschaft« (Wagenbach) zu korrigieren beabsichtigte.

1965 engagierte Wagenbach sich im Wahlkampf für die in jener Zeit noch halbwegs ernst zu nehmende SPD. In seinem Verlag veröffentlichte der »rote Klaus« beispielsweise die Schriften der Journalistin und späteren militanten Linksradikalen Ulrike Meinhof, an deren Grab er 1976 eine Rede hielt, oder die des Schriftstellers und Filmemachers Pier Paolo Pasolini, aber auch Literatur aus der DDR, etwa Werke von Stephan Hermlin und Johannes Bobrowski.

Mehrmals kam Wagenbach auch mit der bundesdeutschen Justiz in Konflikt und wurde verurteilt, etwa 1974 wegen der Veröffentlichung des RAF-Manifests oder 1975 wegen Beleidigung und übler Nachrede (Geldstrafe in Höhe von 1800 DM), weil er den Mord des Polizisten Karl-Heinz Kurras an dem Studenten Benno Ohnesorg einen »Mord« genannt hatte. Vor Gericht vertreten wurde er damals vom späteren Bundesinnenminister Otto Schily, den er seinen »lieben Freund« nennt.

Auch die DDR-Regierung mochte freche bürgerliche Linke wie Klaus Wagenbach nicht besonders gern: 1965 - Wagenbach war damals 35 Jahre alt - hatte der spätere stellvertretende DDR-Kulturminister Klaus Höpcke von ihm verlangt, keine weiteren Auflagen eines Gedichtbandes des sich für einen Künstler haltenden Sängers und Schreibers Wolf Biermann zu drucken (aus heutiger Sicht eine erstaunlich vernünftige Forderung für einen Politiker), ein Verlangen, dem Wagenbach sich nicht fügte, weswegen er ein Einreiseverbot für die DDR erhielt, das erst 1972 wieder aufgehoben wurde.

In den 90er Jahren war es schließlich die in rotes Leinen gebundene »Salto«-Reihe seines Verlags, die Aufsehen erregte: Mit ihr bediente er die Lektürevorlieben und die Italien-Obsession eines wohlhabenden, politisch weitgehend anpassungsfreudig und träge gewordenen, sich als linksliberal verstehenden Bürgertums, der sogenannten Toscana-Fraktion. In Italien ist der Mann übrigens selbst oft und gerne. Aus dem Verlagsgeschäft hat er sich bereits vor 18 Jahren verabschiedet. Am 11. Juli wird Klaus Wagenbach 90 Jahre alt.

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