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Die Freiheit, sich richtig zu verhalten
Birthe Berghöfer über die Angst vor Bevormundung und die Dringlichkeit von mehr Verboten
In den vergangenen Monaten haben sich die Deutschen so viele Vorschriften und Regeln gefallen lassen wie selten zuvor: Quarantäne, Kontaktverbot, Abstandsgebot und Maskenpflicht haben manche bis an die Grenze des Ertragbaren gebracht, andere wiederum unerträglich werden lassen. Doch die Maßnahmen der vergangenen Wochen dienten einem guten Zweck - der Eindämmung einer Pandemie, sprich der Gesundheit der Menschen. Dabei haben sie auch eins vor Augen geführt: Verbote können richtig und wichtig sein und sollten nicht per se als »staatliche Bevormundung« verteufelt werden. Im Gegenteil: Wir brauchen mehr davon!
Diese Angst der Deutschen vor Bevormundung kam erst jüngst, beim Beschluss zum Tabakwerbeverbot, wieder zum Vorschein: Es passe nicht zu einer freiheitlichen Gesellschaft und zum Wesen der Toleranz, sagte etwa Gero Hocker, Bundestagsabgeordneter der FDP. Nicht zuletzt die Union hatte über Jahre hinweg ein Verbot der Bewerbung von Tabakprodukten blockiert. »CDU und CSU sind keine Verbotsparteien.« Es sei weder Recht noch Aufgabe der Politik, Bürgerinnen und Bürger zu bevormunden, heißt es in ihrem Positionspapier zum Tabakwerbeverbot.
Das Erschütternde: Die Angst vor Verboten ist so stark, dass sie sogar die vor einer der größten Gefahren für die Gesundheit übertrumpft - dem Rauchen. Mehr als 100 000 Menschen jährlich sterben allein in Deutschland an den Folgen des Rauchens. Weltweit sind es laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund acht Millionen Menschen. Über eine Million davon sterben durch das Passivrauchen. Bereits 2003 unterzeichnete Deutschland das »Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs«, das unter anderem ein umfassendes Verbot von Tabakwerbung vorsieht.
Doch erst 17 Jahre später rang man sich zu einer - schrittweisen und unvollständigen - Umsetzung durch. So wird ab dem kommenden Jahr die Bewerbung von Tabak in Kinos verboten sein, jedoch nur bei Filmen, die für unter 18-Jährige freigegeben sind. Ab 2022 dürfen Tabakwaren nicht mehr auf Plakaten beworben werden, die Werbung in Fachgeschäften und an Tankstellen hingegen bleibt unbeschränkt. Das ist alles wichtig, aber eben auch erbärmlich. Denn die Bewerbung eines nachweislich gesundheitsschädlichen Lebensstils bleibt erlaubt.
Dabei ist die Wirkung von Einschränkungen im Tabakverkauf und -konsum erwiesen: Die Altersgrenze von 18, Gesundheitswarnungen auf Tabakprodukten und auch vermehrte Präventionsprogramme haben zu einem Rückgang des Tabakkonsums geführt. Welchen Effekt restriktive Rauchverbote haben können, habe ich tatsächlich schon am eigenen Leib zu spüren bekommen: Drei Jahre in Schweden, mit hoher Tabaksteuer und strengem Nichtraucherschutz haben mir meine langjährige Sucht nach Nikotin ausgetrieben. Kaum zurück in Deutschland, landete die Kippe wieder zwischen den Fingern. Die ungesunde Marotte wird einem schlicht zu einfach gemacht.
Konsequenterweise kennt die Verbotsangst der Deutschen keine Grenzen. Eher nimmt man über 3000 Verkehrstote im Jahr in Kauf, als dem Einzelnen die Freiheit zu nehmen, mit über 200 Stundenkilometern über die Autobahn zu heizen oder eine sofortige Pflicht zum Abbiegeassistenten einzuführen. In der Fleischindustrie werden Menschen wie Schweine behandelt und Schweine … Nun ja. All das scheint okay zu sein, solange nicht der Eindruck entsteht, man wolle jemandem etwas vorschreiben. Ein absolutes Tabu, denn dem Deutschen zittern sofort die Knie vor der drohenden Bevormundung und der freiheitsliebende Liberale schreit: »Verbote sind mit der Garantie der Freiheit des Einzelnen unvereinbar.« Blödsinn!
Veränderungen zum Wohle der Gesellschaft brauchen Regulierungen. Freiwillig ändern Menschen ihr Verhalten nur selten. Daher ist es Aufgabe der Politik, komplexe Dinge zu verstehen, »besser« zu wissen und dem Einzelnen die Freiheit zu ermöglichen, sich richtig verhalten zu können. Nichts anderes tut das Grundgesetz - in dem sich neben Rechten eben auch Verbote und Pflichten finden. Es braucht einen belehrenden Staat, es braucht »Verbotsparteien« und vor allem mehr Verbote.
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